Berlin, im Februar 2021
Zur COVID-19-Schutzimpfung bei PatientInnen mit Krebserkrankung
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), die Deutsche Gesellschaft für Senologie (DGS) sowie die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) sind an einem Positionspapier zur COVID-19-Schutzimpfung bei Patienten mit aktiver Krebserkrankung beteiligt, das federführend von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) erarbeitet wurde.
Zusammenfassung
Bereits in der ersten Welle von COVID-19 in China und anschließend weltweit ergaben sich Hinweise auf eine besondere Gefährdung von PatientInnen mit aktiver Krebserkrankung bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus. Aktuelle Daten bestätigen, dass COVID-19 bei diesen PatientInnen in allen Altersgruppen mit einer erhöhten Morbidität und vor allem einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert ist. Wir leiten daraus folgende Forderungen ab:
rascher Zugang zur Schutzimpfung für
PatientInnen mit malignen hämatologischen Erkrankungen, insbesondere akuten und chronischen Leukämien, malignen Lymphomen und Multiplem Myelom;
PatientInnen mit fortgeschrittenen soliden Tumoren, deren Erkrankung nicht in Remission ist oder deren Remissionsdauer <5 Jahre beträgt, sowie PatientInnen unter aktueller systemischer Therapie (ausgenommen Patienten mit ausschließlich antihormoneller Monotherapie).
In der bisherigen Priorisierung für den Zugang zur COVID-19-Schutzimpfung werden KrebspatientInnen in ihrer Gesamtheit erst in der dritten Stufe, d. h. mit „erhöhter“ Priorität berücksichtigt. Wir halten eine differenzierte Bewertung der Aktivität von Krebserkrankungen – auch in der praktischen Umsetzung - für sinnvoll und machbar.
Mortalität von KrebspatientInnen im Vergleich zu Nicht-KrebspatientInnen
SARS-CoV-2 gehört zu den respiratorischen Viren (Community acquired respiratory viruses = CARV), die obere und untere Atemwegsinfektionen auslösen können. Es wurde Ende 2019 in China als Auslöser der Infektionskrankheit COVID-19 identifiziert. Inzwischen sind weltweit über 100.000.000 Personen infiziert. Während die Infektion bei der großen Mehrzahl der SARS-CoV-2-positiven Personen a- oder oligosymptomatisch verläuft, kann COVID-19 bei 10-15% der Infizierten ein komplexes, lebensbedrohliches Krankheitsbild auslösen. Weltweit sind inzwischen über 2.000.000 Patienten an COVID-19 verstorben [1].
Schon frühzeitig in der Pandemie wurden Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf beschrieben. Hierzu gehören u. a. höheres Alter, männliches Geschlecht, reduzierter Allgemeinzustand und Komorbidität [1-4]. Eine der Prognose-relevanten Komorbiditäten ist Krebs, insbesondere bei aktiver Erkrankung [5]. In zahlreichen, internationalen Registeranalysen wurde eine signifikant höhere Mortalität bei Krebspatienten im Vergleich zu Patienten ohne Krebserkrankungen beschrieben, allerdings mit großen Schwankungsbreiten [6-15]. Inzwischen liegen Daten von Metaanalysen und vergleichende Daten vor. Auch für Deutschland zeigen die aktuellen Daten aus dem LEOSS-Register eine signifikant erhöhte Sterblichkeit sowohl in der Gesamtpopulation als auch in der Gruppe der intensivpflichtigen PatientInnen.
Risikofaktor Alter
Das Alter ist einer der dominierenden Risikofaktoren bei COVID-19, auch Krebs tritt häufiger bei älteren Menschen auf. Die Analysen der Register zeigen allerdings, dass eine aktive Krebserkrankung ein unabhängiger Risikofaktor für eine gesteigerte Mortalität ist.
Die Analysen zeigen vor allem, dass sich der zusätzliche Risikofaktor Krebs insbesondere in den jüngeren Altersgruppen negativ auf die Prognose auswirkt. Die Hazard Ratio zulasten der Krebspatienten ist am höchsten in der Gruppe der Patienten unter 50 Jahren, in der die Nicht-Krebspatienten eine sehr gute Überlebenschance bei einer COVID-19-Erkrankung haben.
Risikofaktor Aktive Krebserkrankung
Bei der Bewertung des Risikofaktors Krebs muss zusätzlich zur Diagnose der Krebserkrankung auch deren Aktivität berücksichtigt werden. Das ist nicht ganz einfach, weil viele Register initial nur den anamnestischen Faktor „Krebs“ erfasst hatten und eine umfassende und tiefe Dokumentation vor allem in der Anfangsphase der Pandemie fehlte. Dadurch wurden auch in Deutschland Daten kommuniziert, die das Sterblichkeitsrisiko der KrebspatientInnen nicht vollständig abbildeten [20].
Entscheidend bei KrebspatientInnen sind der Status und die Aktivität der Erkrankung. Eine aktuelle Analyse des CCC-19-Registers aus den USA mit Daten von fast 30.000 PatientInnen bestätigt die ungünstige Prognose bei aktiver Krebserkrankung [17].
Inzwischen liegen Berichte für viele einzelne Tumorentitäten vor [5, 6]. Dabei zeigt sich eine Tendenz, dass insbesondere Patienten mit hämatologischen und pulmonalen Neoplasien eine ungünstige Prognose aufweisen, dies konnte u. a. in den Niederlanden gezeigt werden [21, 22]. Allerdings sind diese PatientInnengruppen in sich in Bezug auf die Diagnose, das Erkrankungsstadium, die Biologie, die Therapie und die Komorbiditäten sehr heterogen, z. B. bei PatientInnen mit Lungenkarzinom und pulmonaler Vorerkrankung. Deshalb halten wir zum jetzigen Zeitpunkt eine detailliertere Einteilung von Risikogruppen innerhalb der PatientInnen mit aktiver Krebserkrankung für verfrüht.
Schlussfolgerungen
Auf der Basis der bisherigen und der aktuellen Daten sehen wir eine hohe Priorität für die Schutzimpfung von PatientInnen mit hämatologischen Erkrankungen und PatientInnen mit soliden Tumoren und aktiver Krebserkrankung, auch im Vergleich mit anderen Risikogruppen in dieser Stufe der Priorisierung [24]. Die Grundlagen des Shared Decision Making zwischen Arzt und Patient bei der patientenindividuellen Entscheidungsfindung über die Durchführung einer Schutzimpfung werden durch diesen Vorschlag für eine hohe Priorität von Krebspatienten beim Zugang zur Schutzimpfung nicht beeinträchtigt [5, 25].
Bei Verfügbarkeit neuer antiviral wirksamer Arzneimittel wird in absehbarer Zeit auch zu diskutieren sein, ob ein früher Einsatz von monoklonalen Antikörpern, Kinase-Inhibitoren und/oder Rekonvaleszentenplasma bei an COVID-19 erkrankten PatientInnen mit aktiver Krebserkrankung sinnvoll ist. Eine solche Therapie könnte auch die derzeit steigende Zahl von Krebspatienten mit prolongierter Ausscheidung von SARS-CoV-2 (Shedding) nach einer COVID-19-Infektion senken [26, 27].
Diese Behandlungsperspektiven entbinden uns nicht von der Verpflichtung, das Auftreten von COVID-19 bei den Patienten mit aktiver Krebserkrankung mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.
Literaturhinweise
siehe PDF
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Sara Schönborn | Heiko Hohenhaus | Katja Mader
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