Berlin, im Oktober 2014
Was uns bewegt… gestern, heute, morgen – Themen des Kongresses und der DGGG
Prof. Dr. med. Thomas Dimpfl, Präsident der DGGG und Kongresspräsident 2014
Mit dem Kongress-Motto haben wir Themen und Forderungen formuliert, die die verschiedenen Gruppierungen in unserer Gesellschaft und damit unseren gesamten Berufsstand inhaltlich medizinisch, aber auch politisch bewegen. Was uns bewegt, ist – die Auseinandersetzung mit unserer NS- Vergangenheit und ihre Bewältigung – die Lösung der Herausforderungen der Gegenwart wie die stetig wachsende Einforderung ökonomischen Handelns im Krankenhaus und die sinkende Attraktivität unseres Faches für junge MedizinerInnen sowie – das Ausrichten und Vorbereiten unserer Gesellschaft und unseres Faches auf die Herausforderungen der Zukunft.
Dies ist notwendig, um im Wettstreit der verschiedenen Fachdisziplinen zu bestehen und den Anforderungen der Gesellschaft, vor allem aber den berechtigten Erwartungen unserer Patientinnen gerecht zu werden. Gestern: Auseinandersetzung mit der Geschichte der DGGG im Nationalsozialismus Viele Fachgesellschaften, die in die Geschehnisse zu Zeiten des Nationalsozialismus deutlich weniger involviert waren als wir Gynäkologen, haben den Schritt der Aufarbeitung längst vollzogen. In der NS-Zeit eugenisch begründete Abtreibung und Zwangssterilisation sind uns allen in Grundzügen bekannt. Weit weniger thematisiert sind die systematische Ausgrenzung, Enteignung und der Entzug der beruflichen Grundlage der jüdischen Kollegen, bis zur Folter, Deportation und Ermordung. Die DGGG stellt sich ihrer Verantwortung und wird die Geschichte der DGGG in der NS-Zeit aufarbeiten. Aktuell hat nun der Vorstand der DGGG gemeinsam mit dem Historiker PD Dr Dross und dem Gynäkologen PD Dr Frobenius das Projekt der Aufarbeitung der Vergangenheit unserer Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus initiiert und auf den Weg gebracht. Bei diesem vierjährigem Projekt geht es nicht um ein Bußritual, sondern um einfühlsames Verständnis für die Opfer und insbesondere um den Versuch, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Wir dürfen nicht vergessen, was im Namen der DGGG und auch durch ihre Repräsentanten getan wurde und sei es durch duldendes Unterlassen gewesen. Es ist aber längst nicht so, als ob noch gar nichts getan wurde. Hermann Hepp hatte dies zum zentralen Thema beim 50. Kongress der DGGG 1994 vor 20 Jahren gemacht. In diesem Zusammenhang sind auch die Arbeiten von Manfred Stauber und Günter Kindermann zu erwähnen, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts als erste Frauenärzte mit der NS-Vergangenheit unseres Faches auseinandersetzten. Manfred Stauber wurde für seine Verdienste um Aufklärung, Aussöhnung und Entschädigung mit der Ehrenmitgliedschaft der Bayerischen Gesellschaft ausgezeichnet. Heute: Gegenwart Ökonomisierung der Medizin: Dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften sollen - mitunter sogar, damit Aktionäre eine Dividende erhalten - ist kein Naturgesetz. Es ist eine politische und gesellschaftliche Entscheidung. Wir Ärzte müssen uns den „schwarzen Peter“ nicht zuschieben lassen, wenn es um die Umsetzung dieser Forderung geht. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Thematik und die damit verbundenen Probleme immer wieder in die Öffentlichkeit zu bringen - sachlich, aber gut hörbar. Schon um unserer Glaubwürdigkeit willen dürfen wir uns nicht zu Erfüllungsgehilfen von Geschäftsinteressen instrumentalisieren lassen, niemals dürfen wir das Wohl der Patientinnen aus dem Auge verlieren. Es lasse sich eine klare Linie ziehen, bis wohin ökonomisches Verhalten in der Medizin akzeptabel sei, sagte Prof. Dr. med. Dr. phil. Urban Wiesing bei der 191. Tagung der Vereinigung Nordwestdeutscher Chirurgen in Kiel: Zitat: „Solange betriebswirtschaftliches Denken dazu dient, eine indizierte Maßnahme möglichst wirtschaftlich und effektiv umzusetzen, ist es geboten“, führte der Tübinger Medizinethiker aus: „Der Rubikon ist überschritten, wenn ökonomisches Denken zur Erlössteigerung die medizinische Indikationsstellung beeinflusst.“ Die Folgen spüren wir Ärzte täglich in unserem Handeln. Verkleinerung von Personalschlüsseln, Abbau von Betten, Zurückstellung von notwendigen Investitionen, Zielvereinbarungen in denen die variable Vergütung vom Umsatz bzw. Gewinn des Krankenhauses bzw. von Fallzahlsteigerungen abhängen, sind keine Seltenheit. Wirtschaftliches Denken und Handeln ist im Krankenhaus heute für uns alle eine notwenige Selbstverständlichkeit, aber … „die Dosis macht das Gift“, wie Paracelsus bereits im 16. Jahrhundert sinngemäß postulierte. In diesem Zusammenhang ist als wichtigstes DGGG-Projekt das DRG-Projekt (Initiator: Finanzierungskommission der DGGG unter Leitung von Matthias W. Beckmann) zu nennen. Aufgrund der eklatanten Unterbewertung einzelner Diagnosis Related Groups (DRGs) in unserem Fachgebiet hat die DGGG in 2012 erstmals ein Evaluierungsprojekt zu den DRGs durchgeführt. Dieses erfolgreiche Projekt wurde mit hohem persönlichem und auch finanziellem Engagement von Matthias Beckmann, Klaus Friese und Diethelm Wallwiener in 2011 gestartet. Ziel dieses Projektes war und ist es, gezielt Anpassungsvorschläge zur Verbesserung der Abbildung unseres Fachgebietes im DRG-System zu entwickeln. Hierdurch soll eine Kosten deckende Leistungserbringung garantiert werden. Für das Fach Gynäkologie konnte nicht zuletzt durch Einfluss des Evaluierungsprojektes der DGGG tatsächlich eine wesentlich verbesserte Erlössituation erreicht werden. Unser Fachgebiet erhielt dadurch einen Katalogeffekt für 2014 von durchschnittlich 2,5% und ist damit klarer Gewinner der Änderungen. Insbesondere die Geburtshilfe und hierbei die normale Geburt hat dabei mit 5% so viel profitiert wie kein anderes Fachgebiet. Die adäquate und auch profitable Abbildung unseres Faches im DRG- System ist eine Voraussetzung für den Fortbestand und die „Arbeitsfähigkeit“ unseres Faches und damit auch für die Attraktivität für den Nachwuchs. Das DGGG Leitlinienprogramm baut auf den wertvollen Vorarbeiten der DGGG- Leitlinienkommission unter der Leitung von Rolf Kreienberg und den von Dietrich Berg geschaffenen Grundlagen auf. Im Dezember 2012 übernahm Matthias W. Beckmann den Vorsitz. Aufgrund neuer Anforderungen wurde eine Restrukturierung notwendig. Dies betrifft die Systematik der Erstellung, der Registrierung, die Verfügbarkeit und Organisation sowie die Abstimmung mit den neuen AWMF-Vorgaben. Mit einem neuen IT basierten Konzept konnte erreicht werden, dass jeweils nur eine Version der Leitlinie existiert und sowohl die Leitlinie als auch deren Gültigkeit jederzeit zweifelsfrei nachvollziehbar sind. Die vollzogene Restrukturierung macht zukünftig eine ständige Aktualisierung sowie auch Priorisierung der Leitlinien der DGGG nicht zuletzt unter dem Aspekt der begrenzten finanziellen Ressourcen möglich. Zukunft – Zukunftsthemen: Nachwuchs: Aus meiner Sicht ist das zentrale Thema unseres Faches heute und noch viel mehr in der Zukunft, der klinische und wissenschaftliche Nachwuchs. Der Mangel an motiviertem und kreativem Nachwuchs aufgrund unzureichender beruflicher Perspektiven und mangelnder fachlicher Attraktivität am Arbeitsplatz ist eine bekannte Tatsache, die auch unsere Fachgesellschaft herausfordert. Das betrifft zum einen die Feminisierung unseres Faches. Zurzeit sind etwa 8 von 10 Assistenten weiblich. Ihre Zukunftspläne bez. Familienplanung, Teilzeitarbeit, Übernahme von Leitungspositionen etc. sind zumindest offen. Ganz unabhängig davon hat unser Fach in den letzten Jahren gegenüber anderen Fächern deutlich an Attraktivität verloren. Ob dies die anstrengenden Nachtdienste in der Geburtshilfe sind oder die mangelnden Karrierechancen - darüber kann spekuliert werden. Es muss für uns alle ein alarmierendes Zeichen sein, dass in den Top 10 als Berufswunsch bei Studienabgängern die Gynäkologie nicht mehr vorkommt! Wir haben daher das Aktionsbündnis Nachwuchsförderung mit einem Bündel von Maßnahmen ins Leben gerufen. Dies ist nur der Anfang und soll als Signal für unseren Nachwuchs verstanden werden. Ein wichtiger Teil dieses Konzeptes ist es, dem wissenschaftlichen Nachwuchs mehr Wertschätzung entgegen zu bringen, z.B. durch den kostenfreien Zugang zum Kongress und das Angebot einer besonderen Plattform zur Präsentation ihrer wissenschaftlichen Arbeiten. Zusätzliche Reisestipendien erleichtern die Teilnahme. Ganz herzlich danke ich den Förderern dieser Idee: den Referentinnen und Referenten, die erstmals mit ihrer Kongressgebühr die Mittel dazu bereit stellen, ebenso wie den Vorsitzenden, die auf jede Reisekostenerstattung verzichten. München, 8.10. 2014 Es gilt das gesprochene Wort.
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