FAQ Zentralisierung der Geburtshilfe
Eine Information der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG).

Diese häufig gestellten Fragen haben unsere Expertinnen und Experten beantwortet:
Seit langem ist bekannt, dass die perinatale Mortalität – ein Quotient, der angibt, wie viele Totgeburten und Todesfälle bis zum 7. Tag nach der Geburt pro tausend Geburten in einem Land oder einer Region verzeichnet wurden – in kleinen Abteilungen höher ist, als in Kliniken mit mehr als 1.500 Geburten. Das bedeutet, in kleinen Abteilungen ist die Gefahr für schwere Komplikationen oder auch das Risiko, dass aus einer kleinen eine große Komplikation wird, sehr viel höher. Entsprechend sind Geburten für Mütter und Kinder in Kliniken mit einer 24-stündigen Vor-Ort-Präsenz mit einem Frauenarzt oder einer Frauenärztin, einer Kinderklinik mit ärztlicher Vor-Ort-Präsenz, einem Anästhesieteam, dass ausschließlich für den Kreissaal zuständig ist und einer Blutbank am Standort, deutlich sicherer. Deshalb haben Schwangere einen Vorteil, die in so ausgestatteten Kliniken mit interprofessionellen Teams gebären.
Deutschland hat viele geburtshilfliche Abteilungen mit – im internationalen Vergleich – vergleichsweise niedrigen Fallzahlen. Der ökonomische Druck und die mangelnde Verfügbarkeit von Fachpersonal haben in den vergangenen Jahren zum Abbau von geburtshilflichen Kliniken geführt. Aber auch in den bestehenden geburtshilflichen Einrichtungen wird die Versorgung der schwangeren Frauen und ihrer Kinder zunehmend durch den Personalmangel in allen Bereichen eingeschränkt. In ländlichen Regionen wird die Versorgung zunehmend schwierig. Eine regional gut geplante gezielte Zentralisierung kann die Versorgung sichern.
Kliniken schließen häufig kurzfristig wegen Personalmangel oder wirtschaftlichen Zwängen. Bei einer planlosen Kreißsaalschließung entstehen Versorgungslücken, die benachbarte Kliniken nicht sofort auffangen können. In solchen Fällen kann das Geburtenaufkommen nicht rechtzeitig durch benachbarte Kliniken kompensiert werden, was punktuell zu Versorgungslücken führt.
Unterschiedliche Bedingungen und strukturelle Voraussetzungen in den Regionen der Bundesrepublik Deutschland erfordern unbedingt eine regional angepasste Planung und strukturierte Organisation der Versorgung im Bereich der klinischen Geburtshilfe. Essenziell ist das Zusammenspiel der verschiedenen Level der geburtshilflichen und neonatalen Strukturen. Interdisziplinäre Netzwerke sollten hierbei ermöglichen, dass im Notfall die beste und sicherste Struktur zum Tragen kommt.
Derzeit erreichen 96 % der Schwangeren eine Klinik in unter 40 Minuten – 90 % sogar in unter 30 Minuten. Eine gut geplante Zentralisierung kann diese Erreichbarkeit erhalten, wenn regionale Unterschiede berücksichtigt werden.
Quelle:
Langfristig wäre es das Idealziel, Einheiten mit einer hohen Geburtenzahl zu entwickeln, unter deren Dach Patientinnen mit jeglichem Risikoprofil optimal betreut werden könnten. In Ballungszentren wäre dies durch das Zusammenlegen mehrerer Kliniken umsetzbar, ohne dafür Anfahrtswege über 40 Minuten für die zu versorgenden Patientinnen in Kauf nehmen zu müssen. In diesen Geburtszentren könnten Schwangere ohne Risiken ausschließlich von Hebammen betreut werden (hebammengeleitete Kreißsäle). Ein Notfallteam bestehend aus einem Facharzt/-ärztin für Frauenheilkunde, Anästhesist/-in und Neonatologe/-in stehen jederzeit zur Verfügung. Schwangere mit Risiken würden interdisziplinär von Hebammen und Ärzt/innen betreut. In diesen Einheiten wäre eine adäquate geburtshilfliche Versorgung von der Geburtshausatmosphäre bis hin zur Hightechmedizin entsprechend dem individuellen Risikoprofil sichergestellt, die zudem Ressourcen sparen würde.
In eher ländlich geprägten Gegenden empfiehlt die DGGG ein gestuftes Versorgungssystem mit einem Verbund von Perinatalzentren, regionalen Kliniken und satellitenartigen kleineren Einheiten. Um eine strenge Risikoselektion zu erreichen muss eine vorgeburtliche Vorstellung in der Geburtsklinik erfolgen. Die Geburt in der kleinen Abteilung muss beschränkt werden auf Schwangere ohne vorhersehbares Geburtsrisiko nach der abgeschlossenen 37. SSW analog der Risikoselektion für eine Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal. Die in Notsituationen erforderlichen Fachpersonen (Facharzt für Anästhesie, Anästhesie- und OP-Pflege) müssen jederzeit kurzfristig verfügbar sein, sodass eine E-E-Zeit (Entscheidungs-Entbindungs-Zeit) von 20 Minuten eingehalten werden kann.
Kleinere geburtshilfliche Einheiten in strukturschwachen Regionen, die risikoarme Geburten betreuen, gelten als Satellitenkliniken. Voraussetzung ist die sofortige Verfügbarkeit von Notfall-Fachpersonal (Gynäkologie, Anästhesie, Pädiatrie, Hebammen u. a.).
Rettungsdienstgeburten sind in Deutschland äußerst selten (0,1-0,2%), erwecken jedoch ein sehr hohes mediales Interesse. Rettungssanitäter und Notärzte sind auch für diese ungeplanten außerklinische Geburten geschult, aufgrund fehlender fachkompetenter Betreuung haben diese Geburten jedoch ein erhöhtes Risiko.
Nein, das Klinikangebot kann durch Geburtshäuser nicht ersetzt werden. Wenngleich der Großteil der Geburten komplikationsfrei verläuft, können jederzeit, auch im Niedrig-Risiko-Kollektiv, unvorhersehbare Risiken und Notfälle auftreten, die ein rasches ärztliches Handeln erfordern. Die Rate erforderlicher Verlegungen außerklinisch begonnener Geburten liegt bei 30% bei Erst- und 7% bei Mehrgebärenden. Eine rasche medizinische Reaktion – wie sie in Kliniken gewährleistet ist – ist in Geburtshäusern nicht möglich. Eine E-E-Zeit von 20 Minuten, wie sie studienbasiert als Qualitätsanforderung für klinische geburtshilfliche Abteilungen verankert ist, ist in der außerklinischen Geburtshilfe nicht zu gewährleisten. Die E-E-Zeit wird definiert als Zeitintervall vom Entschluss zur Notsectio bis zur Entbindung des Kindes ("Kindsentwicklung"). Unter diesen Umständen ist die außerklinische Geburtshilfe nicht sicher, eine quantitative Stärkung der außerklinischen Geburtshilfe würde zu einer qualitativen Verschlechterung der Versorgungssituation führen und wird daher von der DGGG abgelehnt.
Die S2k-Leitlinie „Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland“ fordert, dass bei jeder Geburt sichergestellt sein soll, dass im Falle einer erforderlichen Notfallentbindung („Not-Sectio“) die E-E-Zeit unter 20 Minuten eingehalten werden kann. Daher soll jede geburtshilfliche Klinik rund um die Uhr die Anwesenheit mindestens einer Hebamme sowie einer weiteren Hebamme in Rufbereitschaft und die ständige Anwesenheit zumindest eines/einer geburtshilflich erfahrenen Arztes/Ärztin (Facharzt/-ärztinnenstandard) gewährleisten.
➢ 24 Std. Präsenz Facharzt-/-ärztinnenstandard Geburtshilfe
➢ 24 Std. Präsenz einer Hebamme
➢ Notfallsectio mit einer E-E-Zeit von unter 20 Min jederzeit möglich
➢ fachgerechte Reanimation eines Neugeborenen mit schweren Anpassungsstörungen durch Facharzt/-ärztin für Frauenheilkunde oder Anästhesist/-in jederzeit gegeben
➢ Sicherstellung der weiteren neonatologischen Versorgung durch Kooperationsvertrag mit regionaler Kinderklinik
Langfristig wäre es das Idealziel, mit einem Übergangskorridor von fünf Jahren Klinikeinheiten mit hohen Geburtenzahlen zu entwickeln, unter deren Dach Patientinnen mit jeglichem Risikoprofil optimal betreut werden könnten. In Ballungszentren wäre dies durch das Zusammenlegen mehrerer Kliniken umsetzbar, ohne dafür weitere Anfahrtswege für die zu versorgenden Patientinnen in Kauf nehmen zu müssen. Ein kaltes Kliniksterben infolge des sich verschärfenden ökonomischen Umfeldes und fehlender Personalressourcen ist keine Lösung.
Die Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (AGG)
Die AGG e. V. ist eine selbständige Untergliederung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie verfolgt die Förderung der Wissenschaft und Forschung sowie der Aus- und Weiterbildung von Medizinern in den Themen- und Aufgabenbereichen der Pränatal- und Geburtsmedizin und befasst sich mit allen klinischen, wissenschaftlichen und organisatorischen Anliegen auf diesem Gebiet.
Mehr Informationen: https://www.ag-geburtshilfe.de
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