Berlin, im September 2020

Doppeltes Glück, doppeltes Risiko? Leitlinie zur Betreuung von Zwillingsschwangerschaften veröffentlicht

Die Wahrscheinlichkeit, mit Zwillingen schwanger zu werden, hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Etwa eine von 54 werdenden Müttern bekommt heutzutage zwei Kinder auf einmal. Eine Zwillingsschwangerschaft ist immer mit besonderen Risiken verbunden: Frühgeburten und Fehlbildungen kommen deutlich häufiger vor als bei Einlingsschwangerschaften. Eine engmaschige Begleitung durch ultraschallerfahrene Ärztinnen und Ärzte sei bei einer Zwillingsschwangerschaft essenziell, empfehlen Experten der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e. V. (DEGUM). Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat die DEGUM kürzlich die erste deutschsprachige AWMF-Leitlinie zur Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften (1) herausgegeben.

War 1977 nur jedes 56. Neugeborene ein Mehrling, so sind es heute nach Angaben des Statistischen Bundesamtes doppelt so viele. „Grund dafür ist zum einen die Zunahme von künstlichen Befruchtungen, zum anderen aber auch das höhere Durchschnittsalter der werdenden Mütter“, erklärt Privatdozent Dr. med. Kai-Sven Heling, Pränataldiagnostiker und Vizepräsident der DEGUM. Denn Frauen haben mit zunehmendem Alter häufiger zwei Eisprünge pro Zyklus (2). Gemeinsam mit der DGGG hat die DEGUM nun die erste deutschsprachige AWMF-Leitlinie zur Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften veröffentlicht. Denn bislang gab es keine einheitlichen deutschsprachigen Empfehlungen zum Management von Zwillingsschwangerschaften.

„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass jene Zwillingsschwangerschaften, welche einem erhöhten Risiko für Komplikationen unterliegen, frühzeitig identifiziert und kontinuierlich per Ultraschall betreut werden“, erklärt Professor Dr. med. Constantin von Kaisenberg, Bereichsleiter Geburtshilfe und Pränatalmedizin des Perinatalzentrums der Medizinischen Hochschule Hannover und Leitlinienbeauftragter der DEGUM. „Durch regelmäßige Ultraschall-Untersuchungen lassen sich durch die frühzeitige Erkennung von Komplikationen und ein daraus ableitbares Management die Mortalität und Morbidität der betroffenen Zwillinge deutlich senken“, ergänzt Professor Dr. med. Kurt Hecher vom UKE Hamburg und Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG.

Im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften kommt es bei Zwillingen häufiger zu
komplizierten Verläufen. Zu den Hauptrisiken zählen Fehlbildungen und eine Frühgeburt. Die Schwangeren haben zudem schon allein aufgrund der stärkeren körperlichen Belastung durch zwei Kinder im Bauch ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Schwangerschaftsdiabetes, Blutarmut und eine Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie). Gefährdet sind aber vor allem die Feten selbst. Entscheidend dabei ist vor allem, ob sich die Ungeborenen eine Plazenta und/oder eine Fruchthöhle teilen müssen.

Zwillingsschwangerschaften, bei denen jeder Fetus eine eigene Plazenta und eine eigene Fruchthöhle hat, sind in der Regel wenig problematisch. „Bei diesen Schwangerschaften geht es vor allem darum, dass die Feten wenig Platz haben und zusammen ein deutlich höheres Gewicht aufbringen als ein Einling“, erklärt von Kaisenberg. Der Druck auf den Muttermund steige enorm, eine Frühgeburt drohe. Zwillinge werden deshalb auch spätestens in der Schwangerschaftswoche 38 geboren.

Bei jeder fünften Zwillingsschwangerschaft teilen sich die Ungeborenen hingegen eine Plazenta. Eine solche „monochoriale“ Schwangerschaft lässt sich bis Schwangerschaftswoche 14 mithilfe der Ultraschalldiagnostik feststellen. Diese Kinder sind in besonderer Weise gefährdet. So kann es sein, dass eine Gefäßverbindung zwischen den Zwillingen besteht, es droht die Gefahr des sogenannten fetofetalen Transfusionssyndroms (TTTS). Dabei kommt es zum einseitigen Blutaustausch zwischen den Ungeborenen: Das eine gibt Blut ab, das andere nimmt es auf. „Bei monochorialen Zwillingen muss ganz engmaschig betreut werden, um zu sehen, ob eines der Kinder unterversorgt ist und das andere zu viel abbekommt. Es könnten einer oder auch beide sterben“, sagt von Kaisenberg. Er rät Schwangeren, sich in dieser Situation einen Arzt oder eine Ärztin mit hoher Ultraschallkompetenz zu suchen. Wer beispielsweise eine DEGUM-Zertifizierung der Stufe zwei und/oder drei besitzt, ist ausreichend qualifiziert, um Risiken zu erkennen und frühzeitige Therapiemaßnahmen einzuleiten. Alle DEGUM-zertifizierten Ärzte kann man auf der Webseite der Fachgesellschaft einsehen: www.degum.de/service/zertifizierte-aerzte.html

„Trotz aller Risiken kommen die meisten Zwillinge heutzutage gesund und munter auf die Welt“, erklärt Heling. „Die neue Leitlinie leistet einen Beitrag zu einer verbesserten Versorgung – sowohl der Mütter als auch der Feten bei Zwillingsschwangerschaften.“

Literatur:
(1) AWMF LL 015-087 S24 Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften. von Kaisenberg CS*, Klaritsch P*, Ochsenbein-Kölble N, Hodel M, Nothacker M, Hecher K. (*geteilte Erstautorenschaft) www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-087.html
(2) Beemsterboeret S.N. al.: The paradox of declining fertility but increasing twinning rates with advancing maternal age. Human Reproduction, Volume 21, Issue 6, June 2006, Pages 1531–1532, doi.org/10.1093/humrep/del009

++++ Bei Abdruck, Beleg erbeten. ++++++

Pressestelle

Sara Schönborn | Heiko Hohenhaus | Katja Mader
Pressestelle Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
Jägerstraße 58-60
10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30-514 88 3333
E-Mail: Bitte aktivieren Sie JavaScript, um diesen Link anzuzeigen!