Berlin, im Oktober 2012

DGGG-Kongress 2012 - Infektionen der Scheide – gibt es endlich Erfolgsrezepte?

Der Mensch ist wahrscheinlich von etwa 10.000 Keimarten besiedelt, die etwa 2 kg an Masse ausmachen und eine 10fach grössere Anzahl als seine Körperzellen ausmachen. Ohne sie wäre der Mensch todkrank. Viele Interaktionen zwischen Bakterien untereinander und mit ihrem Wirt Mensch sind weitgehend unerforscht.

Die Scheide wird je nach ethnischer Zugehörigkeit von unterschiedlichen Milchsäurebakterien (Laktobazillen) besiedelt, die für eine gesunde Scheidenflora sorgen und Infektionen abwehren.

Bakterielle Vaginose und Biofilm

Störungen sind aber häufig: In Mitteleuropa ist die bakterielle Vaginose – eine Florastörung mit Bildung eines an der Scheide anhaftenden, therapieresistenten bakteriellen Biofilms, der auch an Zellen im Urin des Partners dieser Frauen nachweisbar ist – bei 20% der Frauen vorhanden und zusammen mit gestörter Mundflora bei Zahnfleischentzündungen ein wichtiger Kofaktor für Frühgeburtlichkeit, was bei bestimmten genetischen Dispositionen noch verstärkt wird. In einem Biofilm haben sich Bakterien wie in einem Ameisenstaat organisiert und sind darin gegen Antibiotika fast resistent. Der in unserer Arbeitsgruppe 2005 erstmals beschriebene bakterielle Biofilm bei Frauen mit bakterieller Vaginose und ihren Partnern erklärt bisherige Therapieprobleme, bleibt aber bislang eine therapeutische Herausforderung. Es gibt neue Erkenntnisse über probiotische und immunologische Wirkungen von bestimmten Laktobazillusstämmen, die die Dysbiose zur Eubiose zurückführen und entgegen früherer Meinung auch bei Pilzinfektionen der Scheide helfen können.

Schon zu Beginn einer Schwangerschaft sollte der Säuregrad (pH – Wert) in der Scheide unter 4,5 liegen und das mikroskopische Bild der Scheidenflora normal aussehen. Die Schwangere kann diesen pH-Wert leicht selbst zu Hause mit einfachen und preiswerten Tests ein- bis zweimal pro Woche bestimmen und bei Bedarf ihren Arzt ansprechen, der dann die Scheidenflora medikamentös zu normalisieren versucht. Die Effektivität dieses Vorgehens wurde in einer landesweiten Studie in Thüringen um 2000 durch Hoyme u. a. bewiesen, ist aber leider immer noch nicht Bestandteil der Mutterschaftsvorsorgerichtlinien. Das wird besonders vom „Vater der modernen Geburtsmedizin“ Prof. Erich Saling kritisiert. Er hatte um 1994 als erster dieses Frühgeburtenvermeidungsprogramm propagiert. Es scheint möglich, so besonders die Anzahl der „kleinen“ Frühgeborenen (unter 1500 bzw. 1000 g Geburtsgewicht) zu halbieren. 

Chlamydia trachomatis – Infektion der Zervix

Seit Jahren wird mit „Gib AIDS keine Chance“ und „Kondome schützen“ auf die ohne Therapie meist tödliche sexuell übertragbare HIV - Infektion aufmerksam gemacht, mit der in Deutschland geschätzt 1 bis 4 von Tausend Menschen infiziert sind.

Ob die prominenten Damen und Herren von AIDS-Galas aber auch wissen, dass ihre 18- bis 20jährigen Töchter mit 10% Wahrscheinlichkeit an einer Infektion des Gebärmutterhalskanals durch das Bakterium Chlamydia trachomatis leiden, ohne es wegen der Symptomarmut zu wissen? Und dass in geschätzt jedem zehnten dieser Fälle eine Eileiterentzündung resultiert, die eine der häufigsten Gründe für spätere ungewollte Kinderlosigkeit ist?

Hier ist dringend mehr Aufklärung nötig, wie es seit Jahren schon in der Mädchensprechstunde des Frauenarztes und in Schulen von der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e. V. (ÄGGF) getan wird. Die Zielgruppe sind hier 12- bis 15jährige Mädchen und Jungen, die ihre Sexualität noch entdecken, viele Unsicherheiten und Fragen haben. Somit sollte die Sprache und Ansprache eine andere und sensiblere sein als die, mit der ganz andere Zielgruppen der AIDS-Kampagne angesprochen werden. Die AGII ist mit der ÄGGF im Herbst 2011 darum bemüht gewesen, bei einer Anhörung vor Gesundheitspolitikern des Deutschen Bundestages diesen Standpunkt zu verdeutlichen.

Seit 1995 ist es in den Mutterschaftsrichtlinien vorgeschrieben, die Schwangere zu Beginn der Schwangerschaft auf Chlamydien zu testen, weil Chlamydien auch Frühgeburten verursachen können. Heute wird jedoch eine Frau in Deutschland erst im Alter von über 30 Jahren zum ersten Mal schwanger – ein Alter, in dem die Wahrscheinlichkeit einer Chlamydieninfektion wegen des zunehmend monogameren Lebens beider Partner auf etwa 3 % gesunken ist. Ausserdem wird frau – siehe oben – mit größerer Wahrscheinlichkeit schwanger, wenn sie keine Chlamydieninfektion hat. Deshalb soll seit 2009 einmal jährlich bei jeder Frau bis zum 25. Lebensjahr anlässlich der Beratung zur Familienplanung oder nach einem Schwangerschaftsabbruch ein Test auf Chlamydia trachomatis aus ihrem Urin durchgeführt werden.

Vertreter der AGII hätten sich allerdings bei der Entstehung dieses Screenings Verbesserungen gewünscht. Methodik und Zielsetzung werden nämlich heftig wissenschaftlich kritisiert. Es hat sich z. B. in ausländischen Studien gezeigt, dass eine solche Untersuchung und ggf. Therapie der Infektion nicht die Häufigkeit von aufsteigenden Infektionen in die Eileiter reduziert. Das liegt möglicherweise daran, dass eine einzige Untersuchung pro Jahr und dazu nur bei der Frau, nicht beim Mann, unzureichend ist. Darüber hinaus führen viele Frauenärzte derzeit dieses Screening wegen fehlener Honorierung nur auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin durch. Dennoch sollte allein schon aus aufklärerischen Gründen für die jungen Frauen nicht auf den Test verzichtet werden.

Die Zielsetzung „Vermeidung von Eileiterinfektionen und Sterilität durch Chlamydienscreening“ wird von ausländischen Experten (z. B. Jorma Paavonen, Helsinki) als „bad medicine“ bezeichnet. Aus epidemiologischer Sicht ist sie eher sinnvoll.

Zukünftig Impfung gegen Vulvovaginalkandidose?

Mindestens 30% der Frauen haben unter dem Einfluss der Geschlechtshormone Hefepilze als harmlose Kolonisation in der Scheide (und im Mund und Darm). Etwa 3 von 4 Frauen erleiden wenigstens einmal in ihrem Leben eine Hefepilz- (Candida-) Infektion der Scheide. Wahrscheinlich 8% von Ihnen leiden mehr als viermal pro Jahr daran (chronisch rezidivierende Vulvovaginalkandidose). Diese ist auch ein immunologisch – allergiformes Problem, für ds es zudem eine genetische Veranlagung gibt, und das derzeit trotz guter Wirkung aller dafür auf dem Markt befindlicher Medikamente nicht kausal heilbar ist. 

Deshalb kann derzeit in den Leitlinien nur zur monate- bis jahrelangen Tablettentherapie geraten werden. Nach Absetzen des Medikamentes stellt sich bei über 50% der Frauen bald wieder ein Rezidiv ein.

Deshalb könnte eine Impfung gegen Candida albicans, die in 90% Verursacher der Vulvovaginalkandidose ist, eine grosse Erleichterung für viele Frauen bringen.

In der Schweiz (Pevion Biotech, Ittigen) wird derzeit ein subkutan oder vaginal zu verabreichender Impfstoff getestet, der sich gegen den wichtigsten Pathogenitätsfaktor von Candida albicans, die sekretorische Aspartatprotease (SAP) 2 richtet. SAP 2 korreliert direkt mit den klinischen Symptomen wie Juckreiz und Rötung. Die erreichten Antikörpertiter bei Probandinnen sind erfreulich und halten bisher über 6 Monate lang an. Klinische Tests sollen jetzt folgen. In den USA soll ein weiterer Impfstoff getestet werden, der Antigene gegen einen Zellwandbaustein von Candida enthält.

HPV – Impfung

Etwa 6000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich an Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom). Die Erkrankung wird (mit interkontinentalen Unterschieden) zu etwa 70% vom humanen Papillomavirus (HPV) 16 verursacht. Das zählt mit HPV 18, 31, 35, 45 u. a. zu den sog. High-risk-Viren. Somit ist dieser Krebs – wie andere – eigentlich eine Infektionskrankheit. Andere HP-Viren sind Low-risk-Viren. Zu ihnen zählen HPV 6 und 11, die Feigwarzen (spitze Kondylome, Condylomata acuminata) am äusseren Genitale von Frau und Mann verursachen. Mit Beginn des Geschlechtsverkehrs werden mindestens 50% der Menschen mit HPV infiziert. Jedoch verschwinden diese Viren innerhalb von Monaten fast immer von selbst. Nur in Einzelfällen kommt es zu einer dauerhaften Besiedlung, dann aber entwickelt sich üüber einen Zeitraum von mindestens 7 Jahren, gefördert durch Umweltfaktoren, von denen der wichtigste das Rauchen ist, über Vorstufen in vielen Fällen ein Krebs. 

Die beiden seit 2006/7 zugelassenen Impfstoffe , die gegen HPV 16 und 18 gerichtet sind und durch Kreuzreaktionen auch gegen andere High-risk-Typen wirken, verhindern zuverlässig das Zervixkarzinom in etwa 80 – 90 % der Fälle und Kondylome, wenn es sich um den tetravalenten Impfstoff gegen zusätzlich HPV 6 und 11 handelt. Die beste Wirkung wird erzielt, wenn junge Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren vor dem ersten sexuellen Kontakt mit solchen Viren geimpft werden. Jedoch profitieren auch Frauen über 30 Jahren noch davon. Leider haben unqualifizierte Kommentare und Ängste (nur) in Deutschland dazu beigetragen, dass zu wenige Mädchen geimpft werden.

In Australien gehört die Impfung zum Schulprogramm bei Jungen und Mädchen; über 80 % von Ihnen wurden bis 2011 geimpft. Schon 3 Jahre nach Beginn sind HPV-assoziierte Krebsvorstufen bei unter 18 Jahre alten Mädchen dort um 59% zurückgegangen.

Deutschland ist davon noch weit entfernt. Die DGGG unterstützt mit zahlreichen Experten die HPV-Impfung nachdrücklich. Trotz der Impfung kann bisher auf die herkömmliche Krebsvorsorge („Pap – Abstrich“) nicht verzichtet werden. 

Arbeitsgemeinschaft für Infektionen und Infektionsimmunologie in der Gynäkologie und Geburtshilfe (AGII)

Die AGII wurde 1987 von deutschen Gynäkologen gegründet, die sich
wissenschaftlich mit Infektionen beschäftigen und einen Nachholbedarf zur Forschung und Lehre auf diesem Gebiet sahen. Ein grosser Teil des „täglichen Brotes“ von Gynäkologen sind infektiologische Probleme der
Frauen. Dennoch gibt es den Begriff „Infektionen“ bisher nicht in der Weiterbildungsordnung zum Frauenarzt! Nur etwa 5 bis 8 der vielen Professoren für Gynäkologie und Geburtshilfe sind als Infektiologen bekannt und ausserdem heute meist im Pensionsalter. Nur einer der Lehrstuhlinhaber an den 36 deutschen medizinischen Fakultäten hat vornehmlich infektiologisch (als Mitglied der AGII) gearbeitet.
Die AGII hat in den letzten 25 Jahren Leitlinien und Empfehlungen zu folgenden Themen erarbeitet oder daran mitgewirkt, die auf der Homepage der DGGG (www.dggg.de) publiziert sind und regelmässig aktualisiert werden: Bakterielle Vagi-nose, Vulvovaginalkandidose , Chlamydieninfektion in der Schwangerschaft, Pro-phylaxe der Neugeborenensepsis durch B – Streptokokken in der Schwangerschaft, Harnweginfekte, HIV-Infektion, HPV-Infektion in der Schwangerschaft, HIV-Expositionsprophylaxe,  Perioperative Antibiotikaprophylaxe, Infektionsdiagnostik und Infektionsprophylaxe bei der assistierten Reproduktion, Vorgehen bei vorzeiti-gem Blasensprung, Diagnostik und Therapie der Zervizitis und der Salpingitis. Dar-über hinaus wurden von 5 Mitgliedern der AGII über 10 infektiologische Lehrbücher verfasst.


Ihr Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Werner Mendling

Stellv. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen und Infektionsimmunologie in der Gynäkologie und Geburtshilfe (AGII) der DGGG
Leiter des Deutschen Zentrums für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe 
Vogelsangstrasse 106
42109 Wuppertal 
Bitte aktivieren Sie JavaScript, um diesen Link anzuzeigen!  
www.werner-mendling.de 

Pressestelle

Sara Schönborn | Heiko Hohenhaus | Katja Mader
Pressestelle Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
Jägerstraße 58-60
10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30-514 88 3333
E-Mail: Bitte aktivieren Sie JavaScript, um diesen Link anzuzeigen!