Berlin, den 01.09.2020
Bei 90 % aller Geburten ist die Anwesenheit von ärztlichen GeburtshelferInnen erforderlich
Wichtige Erkenntnisse für die Zusammenarbeit zwischen Hebammen und ärztlichen GeburtshelferInnen hat der Abschlussbericht zum „Forschungsprojekt Hebammenkreißsaal“ hervorgebracht, welchen Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann vorgestellt hat. Unter dem Strich profitieren die Gebärenden von einer guten, respekt- und vertrauensvollen interprofessionellen Zusammenarbeit und leiden bei einer schlechten. Gleichwohl sind ärztliche GeburtshelferInnen für die Sicherheit von Mutter und Kind in 90 % aller Geburten im Kreißsaal unabdingbar.
Evaluiertes Modell weitet Wahlfreiheit für Schwangere aus
Die Bilanz der Bonner Studie zeigt, dass ein Hebammenkreißsaal die Wahlfreiheit Schwangerer für ihre Geburtsbetreuung ausweitet1,2. Die Universitätsfrauenklinik Bonn hatte das Modell als erste Universitätsklinik Deutschlands eingeführt: „Nach elf Jahren blicken wir auf eine hohe Zufriedenheit bei Gebärenden, Hebammen und Ärzten zurück“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Gembruch, DGGG-Experte und geschäftsführender Direktor des Zentrums für Geburtshilfe und Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Bonn. Die Geburt im Hebammenkreißsaal verlaufe schneller und mit weniger Interventionen, insbesondere mit weniger Episiotomien und Dammmrissen II. Grades, allerdings auf Kosten einer größeren Häufigkeit höhergradiger Geburtsverletzungen.
Hebammen spüren größere Freude durch mehr originäre Arbeit
Im Rahmen des Teilprojekts „Best Practice Hebammenkreißsaal NRW" wurden zwei Klausurtagungen mit VertreterInnen (ÄrztinnInnen und Hebammen) der Hebammenkreißsäle in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Hier haben die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen in der praktischen Umsetzung mit dem Versorgungsmodell herausgearbeitet. Insbesondere die Hebammen berichteten demnach über eine höhere Berufszufriedenheit – dies ist vor dem Hintergrund eines grassierenden Hebammenmangels ein erfreuliches Ergebnis. Gembruch erklärt: „Originäre Hebammenarbeit und selbstständiges Arbeiten rückten hier in den Mittelpunkt, ein ‚Spill-over‘-Effekt in das ärztlich geleitete Betreuungsmodell wurde beschrieben. Darüber hinaus betonten beide Professionen das bessere gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit.“
Weiterleitungsrate in ärztlich geführten Kreißsaal liegt bei 50 %
Konkret wurden in den jetzt veröffentlichten Analysen aus dem mehrteiligen Forschungsprojekt alle 612 hebammengeleiteten Geburten am Universitätsklinikum Bonn von 2010 bis 2017 bezüglich wichtiger medizinischer Merkmale für Mutter und Neugeborene untersucht. Ein wichtiges Resultat: Die Weiterleitungsrate in den ärztlich geführten Kreißsaal lag bei 50,3 %. „Diese Zahlen zeigen eindrücklich, wie wichtig flächendeckend verfügbare ärztliche GeburtshelferInnen für die Sicherheit von Mutter und Kind unter der Geburt sind“, betont Prof. Dr. Anton J. Scharl, Präsident der DGGG. Während also Niedrigrisikogeburten nach strenger Vorauswahl durch Hebammen begleitet werden können, ist bei jeglicher Abweichung die Anwesenheit ärztlicher GeburtshelferInnen nötig. Dies reicht etwa von der Anlage häufig gewünschter Periduralanästhesien (PDA) bis hin zu pathologischen Geburtsverläufen, wie starken Blutungen, Beckenendlagen, Frühgeburten, vaginal-operativen Geburten sowie Kaiserschnitten. Insgesamt liegt der Anteil an gesunden Schwangeren mit unauffälligem Schwangerschaftsverlauf und Erwartung einer unkomplizierten Geburt in Deutschland nach konservativer Schätzung bei etwa 20 %. Bei einer 50%igen Weiterleitungsrate in den arztgeführten Kreißsaal ist in 90 % der Geburten also auch ärztliche Geburtshilfe erforderlich. Wichtig ist zudem, dass eine Geburt im Hebammenkreißsaal eine Geburt in der Klinik ist. Die Ergebnisse zur Sicherheit für Mutter und Kind können nicht auf die außerklinische Geburtshilfe übertragen werden.
Versorgungsverbesserungsgesetz enthält Schwachstellen
Die Bonner Studie ist aus Sicht der DGGG immens wichtig und liefert endlich konkrete Zahlen zur Bedeutung von Frauenärzten und Hebammen für eine sichere Geburtshilfe. Sie zeigt, welche Bedeutung die ausreichende Ausstattung der Geburtskliniken mit Hebammen hat: „Eine 1:2-Betreuung, noch besser eine 1:1-Betreuung durch Hebammen ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit“, erklärt der DGGG-Präsident und fährt fort: „Da der Großteil der Geburten aber Ärzte erfordert, muss die ärztliche Geburtshilfe genauso gefördert werden!“ Andernfalls sei für die Mehrzahl der Gebärenden keine sichere Geburt möglich.
Aus aktuellem Anlass hat die DGGG – gemeinsam mit dem Deutschen Hebammenverband (DHV) – zum Entwurf für das Versorgungsverbesserungsgesetz kritisch Stellung bezogen. Darin konkretisieren beide Verbände in einem Apell die Vorschläge zur dringend nötigen Verbesserung der Rahmenbedingungen in der deutschen Geburtshilfe. Scharl verdeutlicht: „Durch eine einseitige Vernachlässigung der Ärzte würde der Bundesgesundheitsminister die Schwangeren in den deutschen Kliniken gefährden!“
Quelle
1 GEscHIcK (Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal – Entscheidungsabläufe, Qualitätssicherung und ‚Best Practice‘ Modell‘), online abrufbar unter www.mags.nrw/pressemitteilung/gesundheitsminister-laumann-und-universitaetsklinikum-bonn-stellen
2 Merz WM, Tascon-Padron L, Puth MT, Heep A, Tietjen SL, Schmid M, Gembruch U. Maternal and neonatal outcome of births planned in alongside midwifery units: a cohort study from a tertiary center in Germany. BMC Pregnancy Childbirth. 2020 May 6; 20(1):267. doi: 10.1186/s12884-020-02962-419
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