65. DGGG-Kongress: Interview mit dem Kongresspräsidium
Wenige Wochen vor dem 65. DGGG-Kongress, der vom 16. bis 19. Oktober 2024 im CityCube der Messe Berlin stattfindet, hat sich das Kongresspräsidium bestehend aus Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (Berlin), Dr. Katrin Schaudig (Hamburg) und PD Dr. Dietmar Schlembach (Berlin) aktuellen Fragen gestellt.
Herr Prof. Blohmer, welche „Gamechanger" haben Diagnostik und Therapie in der Gynäkologischen Onkologie in der jüngsten Vergangenheit beeinflusst?
Prof. Jens-Uwe Blohmer: Drei relativ neue Medikamentengruppen waren „Gamechanger“ in der Therapie des Mammakarzinoms: Die immunmodulatorischen Checkpoint-Inhibitoren haben die medikamentöse Therapie von Patientinnen mit einem triple-negativen Mammakarzinom wesentlich verbessert, sodass die Heilungsraten signifikant angestiegen sind. Die CDK4/6-Inhibitoren haben dies in gleicher Weise für Patientinnen mit einem Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinom erreicht. Die verschiedenen Antikörper-Drug-Konjugate (ADC) haben die Therapieergebnisse von Patientinnen mit einem metastasierten Mammakarzinom unabhängig vom Gewebetyp signifikant verbessert. Zusätzlich wurden die Behandlungsergebnisse von Patientinnen mit einem metastasierten Brustkrebs verbessert, wenn sich deren medikamentöse Behandlung gegen Mutationen im Tumor-Gen richtet (z. B. Mutationen im Östrogen-Rezeptor oder in Abschnitten innerhalb der Signalwege innerhalb der Zelle wie PIK3CA, AKT, PTEN).
Die Checkpoint-Inhibitoren, auch in Kombination mit anderen Immuntherapien und zielgerichteten Medikamenten (wie z. B. PARP-Inhibitoren), haben auch bei Frauen mit einer gynäkologischen Krebserkrankung, wie z. B. dem Zervixkarzinom und einigen Formen des Endometriumkarzinoms sowie dem Vulvakarzinom, zu verbesserten Behandlungsergebnissen bis hin zur Verlängerung ihres Überlebens geführt.
Die Einführung einer molekularen Klassifikation der Endometriumkarzinome hat zu verbesserten, da gegen diese molekularen Veränderungen gerichteten, sehr zielgerichteten Therapien und damit Behandlungsergebnissen geführt.
In den letzten Jahren konnten die Radikalität und damit Nebenwirkungen der Operationen von gynäkologischen Krebserkrankungen, z.B. durch die Vermeidung von Lymphknotenentfernungen bei einigen Stadien des Ovarialkarzinoms, Einschränkung der Radikalität bei frühen Stadien des Zervixkarzinoms und Vulvakarzinoms reduziert werden, bei gleich guten Behandlungsergebnissen. Bei Rezidiven von gynäkologischen Krebserkrankungen ist das operative Vorgehen differenzierter geworden.
Welche Sitzungen auf dem DGGG-Kongress beleuchten diese Entwicklungen?
Prof. Jens-Uwe Blohmer: „Spitzenreferate-Gynäkologische Onkologie: Neue Ergebnisse in der operativen und medikamentösen Therapie gynäkologischer Malignome“ sowie „Best of AGO“. Alle Sitzungen zur Gynäkologischen Onkologie beschäftigen sich mit den aktuellen Entwicklungen und dabei besonders mit den „Gamechangern“.
An wen richtet sich das neue Basics-Format „Die sichere OP“?
Prof. Jens-Uwe Blohmer: Das Format „Basics“ ist neu auf dem DGGG-Kongress 2024. Mit den sich sehr schnell veränderten Operationsverfahren und -techniken sowie der zunehmenden Erweiterung in der Indikationsstellung zur präoperativen medikamentösen Behandlung bei benignen und malignen gynäkologischen Erkrankungen ändert sich auch das perioperative Management.
„Basics – Die sichere OP“ richtet sich an alle Gynäkologinnen und Gynäkologen, die Operationsindikationen stellen, Operationen durchführen und die Patientinnen postoperativ betreuen, also von der Assistenzärztin/dem Assistenzarzt bis zu Klinikdirektorinnen und -direktoren.
Welche Sitzung empfehlen Sie speziell dem gynäko-onkologisch interessierten ärztlichen Nachwuchs?
Prof. Jens-Uwe Blohmer: Ich empfehle dem gynäkologisch-ontologisch interessierten ärztlichen Nachwuchs, grundsätzlich an jeder Sitzung und an jeder Postersitzung auf dem DGGG 2024 teilzunehmen, besonders natürlich an den „Spitzenreferaten-Gynäkologische Onkologie“, den „Basics“ („Die Tumortherapie und Prävention“, „Die sichere OP“ u.a.), an den AGO Mamma State of the Art Sitzungen, an den Seminaren (u.a. 24, 32) zu den Grundprinzipien der Gynäkologischen Onkologie und an den wissenschaftlichen Sitzungen zum Zervixkarzinom, Endometriumkarzinom, Vulva- und Vaginalkarzinom.
Was ist Ihr persönliches Kongresshighlight in Ihrer Heimatstadt Berlin?
Prof. Jens-Uwe Blohmer: Die DGGG-Night am 17. Oktober 2024 im Gasometer. Der Gasometer in Berlin-Schöneberg, welcher früher zur Speicherung von Stadtgas genutzt wurde, ist als einziger in Berlin nicht abgebaut oder zerstört worden und kann nun auf dem EUREF-Campus inmitten moderner und historischer Gebäude für Kongresse, Festabende und anderes genutzt werden. Ich konnte der Gasometer seit dem Umbau noch nicht besuchen und bin sehr gespannt auf die Besichtigung und natürlich auf den Festabend.
Frau Dr. Schaudig, welchen Fokus bringen Sie speziell als Endokrinologin und Präsidentin der Deutschen Menopausegesellschaft für den DGGG-Kongress ein?
Dr. Katrin Schaudig: Ganz klar ist mir das Thema Menopause ein Herzensanliegen, und das Thema muss noch besser als bislang bei allen Gynäkologinnen und Gynäkologen verankert werden. Bis heute werden Frauen in den Wechseljahren mit allen damit verbundenen Symptomen zu wenig wahrgenommen – sowohl in der Medizin als auch in der Gesellschaft, last but not least in der Gesundheitspolitik! Und das muss sich ändern. Aber auch generell muss die gynäkologische Endokrinologie als wichtige Säule unseres Fachs bei der Aus- und Weiterbildung, und damit auch bei der Betreuung von Frauen, mehr Beachtung finden. Ich begrüße es sehr, dass beim diesjährigen DGGG-Kongress erstmals alle drei Säulen unseres Fachs im Kongress-Präsidium paritätisch vertreten sind und denke, dass sich dies auch in der Programmgestaltung niedergeschlagen hat.
2024 gibt es auf dem DGGG-Kongress erstmals das Basics-Format „Hormone in verschiedenen Lebensphasen“. Welche Idee steckt dahinter?
Dr. Katrin Schaudig: Wir wollen mit diesem Format besonders der Ausbildung jüngerer Kolleginnen und Kollegen Rechnung tragen. Der DGGG Kongress ist ja traditionell ein Forum, bei dem sich auch viele Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung Inspiration und Know-how aneignen wollen. Genau die sind es, die wir mit diesem „Basic-Format“ erreichen möchten und denen wir die Möglichkeit geben wollen, Grundlagenwissen zu erarbeiten und zu vertiefen. Die gynäkologische Endokrinologie kommt im klinischen Alltag im Laufe der Facharztweiterbildung kaum vor – umso wichtiger ist es, Grundlagen von „Hormonen in verschiedenen Lebensphasen“ auf dem DGGG-Kongress zu platzieren.
Welchen Kongresssitzungen beschäftigen sich besonders mit dem großen Thema Kontrazeption?
Dr. Katrin Schaudig: Das Thema wird insbesondere bei den „Basics“ abgehandelt. Aber es wird auch einen „Pillenführerschein“ geben und eine Reihe weiterer Sitzungen im Bereich gynäkologische Endokrinologie, in denen die Kontrazeption Thema ist.
Warum hinterfragt ein Forum die Terminologie der Anatomie des weiblichen Genitalbereichs?
Dr. Katrin Schaudig: Bei der Programmplanung haben wir dieses Thema besonders intensiv diskutiert. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass ein Teil der althergebrachten Terminologie von vielen jungen Frauen als abstoßend und nicht mehr zeitgemäß empfunden wird – ich nenne beispielhaft Begriffe wie „Jungfernhäutchen“. Und wir – als wissenschaftliche Fachgesellschaft – sollten uns dieser Problematik bewusst sein und sie – ergebnisoffen! – diskutieren.
Worauf freuen Sie sich persönlich ganz besonders?
Dr. Katrin Schaudig: Ich freue mich besonders auf den „vertikalen“ Dialog! Damit meine ich, dass Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Ausbildungs- und hierarchischen Arbeitsebenen miteinander ins Gespräch kommen können. Die nachwachsenden Kolleginnen und Kollegen sollen die Chance bekommen, „mitzumischen“, und wir – als die „Erfahreneren“ – sollen diesen Austausch aktiv suchen und unterstützen. Wissen, Kompetenz und Erfahrung müssen unbedingt weitergetragen werden, hierfür ist der DGGG-Kongress die ideale Plattform.
Herr Dr. Schlembach, die Geburtshilfe ist ein leitlinienstarker Fachbereich. Welchen Beitrag leisten wissenschaftliche Handlungsempfehlungen heute für die Qualität von Geburten?
PD Dr. Dietmar Schlembach: Strukturierte Handlungsempfehlungen/Leitlinien haben zu einer Verbesserung der Versorgung und damit der Qualität geführt. Ohne Leitlinien zu Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist eine moderne Geburtshilfe/-medizin nicht mehr vorstellbar. Sie ermöglichen von der Diagnostik bis zur Therapie und Nachsorge eine Betreuung nach aktuellen evidenzbasierten Erkenntnissen. Durch die ständige Aktualisierung mit Implementierung neuester Erkenntnisse ist z.B. das tradierte „detect and deliver“ bei Schwangerschaftskomplikationen wie der fetalen Wachstumsrestriktion oder hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen in ein evidenzbasiertes geburtshilfliches Management übergegangen, mit dem Ziel einer hinsichtlich Zeitpunkt und Geburtsmodus optimalen Geburt im Sinne eines „detect, manage and deliver“. Das Beispiel der Leitlinie zur peripartalen Blutung zeigt zudem die Wichtigkeit der Interdisziplinarität und Interprofessionalität bei der Erstellung solcher Handlungsempfehlungen, denn nur im Team sind deletäre Folgen von Komplikationen zu vermeiden.
Welche Sitzungen empfehlen Sie Teilnehmenden in diesem Kontext besonders?
PD Dr. Dietmar Schlembach: Zahlreiche Seminare und wissenschaftliche Sitzungen behandeln die wichtigsten geburtsmedizinischen Probleme unter verschiedenen Gesichtspunkten. Zu empfehlen sind zudem Sitzungen, die interprofessionelle Aspekte zu Schwangerschaft und Geburt behandeln sowie die wissenschaftliche Sitzung zu „Fire Drills in der Geburtshilfe“.
Sie moderieren das Diskussionsform „Maternale Mortalität“ am Abend des ersten Kongresstages – welche Relevanz hat das Thema in Deutschland?
PD Dr. Dietmar Schlembach: Ein maternaler Todesfall ist in einem „high income country“ wie Deutschland ein seltenes Ereignis, das aber immer mit einem einschneidenden menschlichen Schicksalsschlag einhergeht. Abgesehen von dem unvorstellbaren Leid für die zurückbleibende Familie mitsamt dem Neugeborenen, traumatisiert dieses Ereignis aber auch das interdisziplinäre-interprofessionelle geburtshilfliche Team. Eine Erfassung, Analyse und umfassende Aufarbeitung jedes Einzelfalls sollte eigentlich selbstverständlich sein, um gemeinsam Präventionsstrategien zu entwickeln. Die Realität sieht in Deutschland jedoch anders aus: Das Thema „Müttersterblichkeit“ wird in Deutschland allenfalls stiefmütterlich behandelt. Ein geeignetes Register zur maternalen Mortalität wie in vielen anderen Ländern gibt es nicht, was zu einem signifikanten „under-reporting“ mütterlicher Todesfälle führt. Deutschland steht hiermit international sehr bescheiden da, eine Änderung ist hier dringend nötig. Das Diskussionsforum soll hier auch als „call for action“ dienen.
Was erwartet die Gäste beim Diskussionsforum „Strukturwandel in der Geburtshilfe?“
PD Dr. Dietmar Schlembach: In diesem Forum diskutieren wir die veränderten Bedingungen in der Geburtshilfe. Es gilt, Personalmangel in zahlreichen Kliniken bzw. Kreissälen mit den veränderten Erwartungshaltungen der Schwangeren bzw. Gebärenden in Einklang zu bringen, um das Ereignis „Geburt“ für Mutter und Kind so selbstbestimmt wie möglich, aber auch so sicher wie möglich zu machen.
Worauf freuen Sie sich ganz besonders auf dem 65. DGGG-Kongress in Berlin?
PD Dr. Dietmar Schlembach: Ich freue mich insbesondere auf den Austausch mit jungen Kolleginnen und Kollegen, die sich – wie ich – für dieses wundervolle Fach begeistern. Der DGGG-Kongress bietet hierfür eine gute Plattform, um die sich verändernden Arbeitsbedingungen und -erwartungen zu diskutieren und einen Anstoß zur Entwicklung von Zukunftskonzepten in der Aus- und Weiterbildung zu geben.
Das Interview führten DGGG-Pressereferentin Sara Schönborn und DGGG-Pressereferent Heiko Hohenhaus.
Pressestelle
Sara Schönborn | Heiko Hohenhaus | Manuela Rank | Melanie Herberger
Pressestelle Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
Jägerstraße 58-60
10117 Berlin
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