Das historische Objekt im Fokus
“Röntgen-Wertheim”
und “Wintz-Kanone”
Als die gynäkologische Radiologie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihren Kinderschuhen entwuchs
Der Anfang des 20. Jahrhunderts brachte für die Frauenheilkunde erhebliche Umwälzungen. 1909 veröffentlichten Ernst Wertheim (1864-1920) und Friedrich Schauta (1849-1919) in Wien erste Ergebnisse ihrer Technik zur radikalen abdominalen (Wertheim) bzw. vaginalen Hysterektomie (Schauta) bei bösartigen Gebärmuttererkrankungen. Beide Verfahren, in deren Mittelpunkt die Mitentfernung des parametranen Gewebes und der regionären Lymphknoten der karzinomatös erkrankten Organe stand, verbesserten das Langzeitüberleben erheblich, waren aber mit einer hohen Operationsmortalität belastet.
Nur vier Jahre später schlug die Nachricht wie eine Bombe ein, dass gut-, aber auch bösartige Geschwülste ganz ohne Operation heilbar seien: Beim 15. Kongress der seinerzeitigen Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) 1913 in Halle lösten Vorträge über ans Wunderbare grenzende Behandlungserfolge mit Röntgen- , Mesothorium- und Radiumstrahlen einen regelrechten Hype aus. Ein erfolgreicher Operateur unter den Tagungsteilnehmern erklärte spontan, er habe “zum letzen Mal ein Messer angefasst”. Ernst Wertheim sah sein Lebenswerk sinnlos werden, gerade, wo er seine Operation “unter viel Mühen und unter sehr schmerzlichen Verlusten auf die Höhe ihrer Ausbildung ” gebracht hatte.
Rasch zeigte sich aber, dass die so sensationell anmutenden Präsentationen noch keinen Durchbruch markierten und die neuen Verfahren schwere Strahlenschäden bei Patientinnen, aber auch beim Personal verursachen konnten. “Wir sind erst am Anfang, nicht am Ende der Bestrahlungstherapie”, konstatierte Ernst Bumm (1858-1925), der Präsident des Folgekongresses 1920 in Berlin, nachdem der Erste Weltkrieg viele “Röntgenlaboratorien geleert und für lange Zeit stillgelegt” hatte. Nebenstehende Abbildungen sind exemplarisch für Entwicklungen, mit denen die gynäkologische Radiologie in der Folge ihren Kinderschuhen entwuchs.
Anfang der 1920er Jahre ersann der Erlanger Ordinarius Hermann Wintz (1887-1945) ein Verfahren zur Behandlung von Uteruskarzinomen, bei dem über verschiedene Felder nicht nur der Primärtumor, sondern auch das Begleitgewebe bestrahlt wurde. Diese Technik bezeichnete er in Anlogie zur Radikaloperation als “Röntgen-Wertheim”. Abb. 1 zeigt die Einstellung eines der Felder bei einer Patientin. Bemerkenswert ist hier allerdings auch, dass die Röntgenröhre noch sehr unvollständig abgeschirmt und die Umgebung somit der “Nebenstrahlung” ausgesetzt war. Um deren schädliche Wirkung zu vermeiden, konstruierte der technisch versierte Wintz in Zusammenarbeit mit der ortsansässigen Industrie ein Bestrahlungsgerät, das auch in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder als “Wintz-Kanone” bezeichnet wurde (Abb. 2). Das Gerät kam 1923 als erstes seiner Art in Deutschand auf den Markt.
Wolfgang Frobenius, Fritz Dross
Literatur
Bumm, Ernst. Rede zur Eröffnung der XVI. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Verhand. d. Dtsch. Gesell. f. Gynäk., 17. Vers., 2. Teil: Sitzungsbericht. Johann Ambrosius Barth: Leipzig 1921, 8-13.
Flaskamp, Wilhelm. Röntgenschäden. Urban & Schwarzenberg: Berlin 1929.
Wintz, Hermann. Die Röntgentherapie des Utruscarcinoms. Thieme: Leipzig 1924.
Frobenius, Wolfgang. Röntgenstrahlen statt Skalpell. Die Frauenklinik Erlangen und die Geschichte der gynäkologischen Radiologie von 1914-1945. Erlanger Forschungen, Reihe B, Naturwissenschaften und Medizin, Bd. 26. Universitätsbund Erlangen-Nürnberg: Erlangen 2003

