Das historische Objekt im Fokus
Wie das “Fundometer” helfen soll(te)
Ein bei uns vergessenes Tool zur Erkennung von Schwangerschaftsrisiken
Leicht zu erlernen, einfach durchzuführen, überall verfügbar und kostengünstig: So wurde noch während der Etablierung des Ultraschalls in der geburtshilflichen Praxis eine alternative Methode beschrieben, mit der bei unbekannter Regelanamnese das Alter einer Schwangerschaft bestimmt und die normale Entwicklung des Feten überwachbar sein sollte. Das bei uns weitgehend vergessene Tool aus den 1970er Jahren zur frühzeitigen Erkennung von intrauteriner Mangelentwicklung oder möglicher Makrosomie wird in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMIC) weiter eingesetzt. Neuere Metaanalysen sehen dies kritisch (Whelan et al. 2022).
Das Verfahren beruht auf der Messung des Abstandes zwischen mütterlicher Symphyse und der der tastbaren Oberkante der Gebärmutter (Symphysen-Fundus-Maß, SFM, bzw. Symphysen-Fundusabstand, SFA). Seine wissenschaftlichen Grundlagen sind untrennbar mit Arbeiten des schwedischen Geburtshelfers Björn Westin (1916-2010) verbunden, der über Jahrzehnte in der geburtshilflichen Abteilung des Karolinska-Institutes in Stockholm forschte und auch als Pionier der Fetoskopie gilt. Westin ermittelte dafür an einem ausgesuchten Kollektiv Normwerte und evaluierte ihre diagnostische Brauchbarkeit an mehr als 12.800 Schwangerschaftsverläufen. In Deutschland stellte die Industrie für Untersuchungen nach der Methode ein spezielles Maßband in Form des “Fundometers” zur Verfügung, das hier vorgestellt wird (Abb. 1).
Trotz der fast zeitgleichen Implementierung des geburtshilflichen Ultraschalls in der Praxis hat die Methode von Westin in der deutschen wissenschaftlichen Literatur durchaus Spuren interlassen. So informierte das Deutsche Ärzteblatt 1980 im Rahmen eines größeren Beitrags zur Fortbildung in der Schwangerenvorsorge ausführlich darüber. Abb. 2 zeigt den Ausschnitt aus einer “Vorsorgekarte”, die den niedergelassenen Ärzten neben dem Mutterpass zur Diagnostik und Ergänzung ihrer Dokumentation empfohlen wurde. Dabei markiert die durchgezogene rote Linie in dem Gravidogramm den Median normaler SFA-Werte, die dazugehörige Punktewolke die Standardabweichungen (+/- 2 SD). Schwarz ist die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft aufgetragen. Rechts finden sich Hinweise zur korrekten SFA-Messtechnik und zur Einordnung der Befunde. In einem 2007 in der Zeitschrift “Die Hebamme” publizierten Beitrag zum Thema zitiert der Autor eine Studie aus dem thüringischen Suhl (n=830), in der die Daten von Westin im Wesentlichen bestätigt werden. Hinweise auf die Methode finden sich auch noch in geburtshilflichen Lehrbüchern, die um die Jahrtausendwende erschienen sind.
Die Kritik am Einsatz der Methode in mit Medizintechnik unterversorgten Ländern beruht vor allem darauf, dass die verwendeten Normkurven auf der Basis von Daten gesunder schwangerer Westeuropäerinnen erstellt worden sind. Den Besonderheiten in Entwicklungs- bzw. Schwellenländern werde damit nicht Rechnung getragen.
Matthias David, Wolfgang Frobenius
Literatur
Westin B. Gravidogram and fetal growth. Acta Obstet. Gynecol. Scand.1977; 56: 273-282;
Langnickel D, Westin B. Intensive Überwachung der Schwangerschaft mittels Vorsorgekarte. Deutsches Ärzteblatt Heft 9 vom 28. Februar 1980, S. 511-516;
Retzke U. Stellenwert der Symphysen-Fundus-Messung nach Westin in der Schwangerenvorsorge. Die Hebamme 2007; 20: 21–25;
Whelan R et al. Measurement of symphysis fundal height for gestational age estimation in low-to-middle-income countries: A systematic review and
meta-analysis.PLoS ONE 2022 17(8): e0272718. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0272718.


