Galerie "Objekt im Fokus"
“Röntgen-Wertheim”
und “Wintz-Kanone”
Als die gynäkologische Radiologie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihren Kinderschuhen entwuchs
Der Anfang des 20. Jahrhunderts brachte für die Frauenheilkunde erhebliche Umwälzungen. 1909 veröffentlichten Ernst Wertheim (1864-1920) und Friedrich Schauta (1849-1919) in Wien erste Ergebnisse ihrer Technik zur radikalen abdominalen (Wertheim) bzw. vaginalen Hysterektomie (Schauta) bei bösartigen Gebärmuttererkrankungen. Beide Verfahren, in deren Mittelpunkt die Mitentfernung des parametranen Gewebes und der regionären Lymphknoten der karzinomatös erkrankten Organe stand, verbesserten das Langzeitüberleben erheblich, waren aber mit einer hohen Operationsmortalität belastet.
Nur vier Jahre später schlug die Nachricht wie eine Bombe ein, dass gut-, aber auch bösartige Geschwülste ganz ohne Operation heilbar seien: Beim 15. Kongress der seinerzeitigen Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) 1913 in Halle lösten Vorträge über ans Wunderbare grenzende Behandlungserfolge mit Röntgen- , Mesothorium- und Radiumstrahlen einen regelrechten Hype aus. Ein erfolgreicher Operateur unter den Tagungsteilnehmern erklärte spontan, er habe “zum letzen Mal ein Messer angefasst”. Ernst Wertheim sah sein Lebenswerk sinnlos werden, gerade, wo er seine Operation “unter viel Mühen und unter sehr schmerzlichen Verlusten auf die Höhe ihrer Ausbildung ” gebracht hatte.
Rasch zeigte sich aber, dass die so sensationell anmutenden Präsentationen noch keinen Durchbruch markierten und die neuen Verfahren schwere Strahlenschäden bei Patientinnen, aber auch beim Personal verursachen konnten. “Wir sind erst am Anfang, nicht am Ende der Bestrahlungstherapie”, konstatierte Ernst Bumm (1858-1925), der Präsident des Folgekongresses 1920 in Berlin, nachdem der Erste Weltkrieg viele “Röntgenlaboratorien geleert und für lange Zeit stillgelegt” hatte. Nebenstehende Abbildungen sind exemplarisch für Entwicklungen, mit denen die gynäkologische Radiologie in der Folge ihren Kinderschuhen entwuchs.
Anfang der 1920er Jahre ersann der Erlanger Ordinarius Hermann Wintz (1887-1945) ein Verfahren zur Behandlung von Uteruskarzinomen, bei dem über verschiedene Felder nicht nur der Primärtumor, sondern auch das Begleitgewebe bestrahlt wurde. Diese Technik bezeichnete er in Anlogie zur Radikaloperation als “Röntgen-Wertheim”. Abb. 1 zeigt die Einstellung eines der Felder bei einer Patientin. Bemerkenswert ist hier allerdings auch, dass die Röntgenröhre noch sehr unvollständig abgeschirmt und die Umgebung somit der “Nebenstrahlung” ausgesetzt war. Um deren schädliche Wirkung zu vermeiden, konstruierte der technisch versierte Wintz in Zusammenarbeit mit der ortsansässigen Industrie ein Bestrahlungsgerät, das auch in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder als “Wintz-Kanone” bezeichnet wurde (Abb. 2). Das Gerät kam 1923 als erstes seiner Art in Deutschand auf den Markt.
Wolfgang Frobenius, Fritz Dross
Literatur
Bumm, Ernst. Rede zur Eröffnung der XVI. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Verhand. d. Dtsch. Gesell. f. Gynäk., 17. Vers., 2. Teil: Sitzungsbericht. Johann Ambrosius Barth: Leipzig 1921, 8-13.
Flaskamp, Wilhelm. Röntgenschäden. Urban & Schwarzenberg: Berlin 1929.
Wintz, Hermann. Die Röntgentherapie des Utruscarcinoms. Thieme: Leipzig 1924.
Frobenius, Wolfgang. Röntgenstrahlen statt Skalpell. Die Frauenklinik Erlangen und die Geschichte der gynäkologischen Radiologie von 1914-1945. Erlanger Forschungen, Reihe B, Naturwissenschaften und Medizin, Bd. 26. Universitätsbund Erlangen-Nürnberg: Erlangen 2003


Habent sua fata libelli
Zu einer Erstausgabe der Autobiografie des berühmten Gynäkopathologen Robert Meyer (1864-1947)
“Bücher haben ihre Schicksale” - diese ebenso bekannte wie vieldeutige lateinische Sentenz lässt sich auch auf das nebenstehend abgebildete Exemplar der bemerkenswerten Autobiografie des berühmten Gynäkopathologen Robert Meyer (1864-1947) anwenden. Das in englischer Sprache abgefasste Werk kam offenbar anlässlich einer Studienreise in den Besitz von Carl Kaufmann (1900-1980), die den Namensgeber der höchsten Auszeichnung für deutsche Gynäkologen im Spätherbst 1949 an Universitätsfrauenkliniken in Baltimore, Chicago und New York geführt hatte. Kaufmann, in den 1920er Jahren in Berlin ein Schüler des 1939 von den Nationalsozialisten in die US-Emigration getriebenen Meyer und in der Autobiografie im Zusammenhang mit seiner Forschung mehrfach erwähnt, hat das Buch seinerseits an seinen langjährigen Assistenten und späteren Direktor der Erlanger Universitätsfrauenklinik, Karl Günther Ober (1915-1999), weitergegeben, der es wiederum dem befreundeten Gynäkologen und Medizinhistoriker Hans H. Simmer (1926-2006) überließ. Aus dessen Nachlass schließlich gelangte es dann in die Bibliothek des Autors dieser Zeilen.
Die zwei Jahre nach Meyers Tod im Henry Schumann Verlag New York erschienene Autobiografie entstand auf Anregung des Leiters der Gynäkopathologie des Johns Hopkins Hospitals Baltimore, Emil Novak (1884-1957). Er bearbeitete Meyers in seinen letzten Lebensjahren verfassten „Short abstract of a long life“ für die Veröffentlichung, versah ihn mit einem Vorwort und ergänzte ihn mit einer Bibliografie zu Meyers Publikationen. Gewidmet hat Meyer die Autobiografie seinen Freunden in den USA, die ihm 1939 als 75jährigem zu einer klinischen Assistenzprofessur an der Universität von Minnesota verhalfen. Dort blieb Meyer bis kurz vor seinem Tod 1947 im Department of Obstetrics and Gynecology als Forscher tätig.
Wolfgang Frobenius

Literatur
Novak E (Ed.). Autobiography of Dr. Robert Meyer (1864-1947). A short abstract of a long life. With a memoir of Dr. Meyer by Emil Novak, MD. Henry Schumann: New York, 1949.
Dallenbach-Hellweg G, Schmidt, D. History of Gynecological Pathology. X. Dr. Robert Meyer. International Journal of Gynecological Pathology 2001; 20: 289-308.
Ebert, Andreas D. Es kommt nicht darauf an, wer Recht hat, sondern was richtig ist - Robert Meyers Wirken an den Frauenkliniken der königlichen Charité (1908-1912) und an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (1912-1939). In: David M, Ebert, Andreas D (Hrsg.). Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. Strukturen, Personen und Ereignisse in und außerhalb der Charité. De Gruyter: Berlin, New York, 2010, 219-236.
Dross F, Frobenius W, Thum A.. “Wir können ihr Geschick nicht wenden”. Die jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin, Leipzig 2020, 167-170 .
Internet
University of Minnesota: https://ahcarchives.lib.umn.edu/2010/03/15/a-home-for-dr-robert-meyer/
Tonringe im Beckenbereich:
Pessare aus der Eisenzeit?
Die Behandlung des urogenitalen Deszensus beschäftigt die medizinische Welt seit Jahrtausenden. Griechische, römische und ägyptische Überlieferungen aus der Zeit vor Christus beschreiben eine Vielfalt von Therapieversuchen. So hielt man zur Zeit des Hippokrates (um 400 vor Chr.) die Gebärmutter für olfaktorisch sensibel und setzte das prolabierte Organ unangenehmen Gerüchen aus, um es zum „Rückzug“ ins Becken zu bewegen. Wenig später wurden Granatäpfel vaginal appliziert oder Patientinnen kopfüber gelagert. Letztere Prozedur sollte mit Hilfe der Schwerkraft zum Ziel führen. Um 100 nach Chr. bedienten sich Ärzte erster „Medizinprodukte“ in Form essig- oder weingetränkter Wollbälle zur Reposition.
Zur medizinischen Versorgung von Frauen, die während der Eisenzeit (800 bis 30 vor Chr.) im deutschen Raum lebten, ist wenig bekannt. In Ermangelung anderer Quellen muss sich einschlägige Forschung auf die Archäologie und die Paläanthropologie stützen. Im hessischen Nieder-Mörlen stieß man auf ein prähistorisches Grab mit einem weiblichen Skelett, in dessen Beckenbereich ein geglätteter Ring aus Ton lag. Das Fundstück ähnelt Ringen, die in anderen Gräbern aus der sogenannten Hallstatt- und Latènezeit (ältere und jüngere Eisenzeit, 625 -260 vor Chr.) an unterschiedlichen Orten Europas gefunden wurden. Die Prähistorikerin Diane Scherzler kam bei der Beschäftigung mit einem vergleichbaren Ring aus dem Frauengrab des „Viesenhäuser Hofes“ (Stuttgart-Mühlhausen, Abb.1) zu dem Schluss, es könne sich dabei um ein Ton-Pessar aus der Eisenzeit handeln. Sie begründete ihre Einschätzung u. a. mit der Lage, der Form, den Abmessungen und dem Gewicht des Fundstücks. Außerdem bezog sie sich auf eine Arbeit des französischen Archäologen Emile Schmit, der anhand eines ähnlichen Fundes bereits 1926 eine derartige Vermutung anstellte. Die ursprüngliche Annahme, bei den Ringen handle es sich um rituelle Grabbeigaben, tritt somit immer mehr in den Hintergrund.
Ringpessare könnten demnach in Europa schon seit Jahrtausenden in ihrer aktuellen Form Verwendung gefunden haben. Es änderte sich lediglich das Material bis zu dem heute eingesetzten Silikon.
Dörthe Brüggmann

Literatur
Downing K. Uterine prolapse: from antiquity to today. Obstet Gynecol Int. 2012:2012:ID 649459; DOI: 10.1155/2012/649459.
Scherzler D. Der tönerne Ring vom Viesenhäuser Hof - Ein Hinweis auf medizinische Versorgung in der Vorrömischen Eisenzeit? https://doi.org/10.11588/fbbw.1998.1.65533, 1996.
Schade-Lindig S. Bad Nauheim-Nieder-Mörlen (Wetteraukreis): Eine weibliche Bestattung mit tönernem Ring. Fundberichte aus Hessen 41. 2006, Band 2001 219-221, Abb. 107-109.
Schmit E. Decouverte d'un Pessaire dans une Sepulture d'un cimetiere ä facies Hallstattien-Champenois ä La Veuve (Marne). Bulletin de la Societe Archeologique Champenoise 1926; 20 (2), 56-58.
Würdigung eines berühmten Freundes:
„Friedrich der Landschaftsmaler“ von Carl Gustav Carus (1841)
Carl Gustav Carus (1789-1869) war nicht nur Gynäkologe, Geburtshelfer, Königlich-Sächsischer Leibarzt, Naturforscher, Naturphilosoph und Goethekenner, er war auch ein begabter Landschaftsmaler. Über 10 Jahre bestand eine enge und besondere Freundschaft zwischen Carus und dem ebenfalls in Dresden lebenden, 15 Jahre älteren und, was die Malerei betrifft, heute deutlich bekannteren Caspar David Friedrich (1774-1840), dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr mit Ausstellungen in Hamburg, Berlin, Dresden und Greifswald begangen wurde. Carus war eine Zeit lang auch Friedrichs Arzt. Ein Jahr nach dessen Tod publizierte er eine ausführliche Würdigung seines Freundes. Sie wurde unter dem Titel „Friedrich der Landschaftsmaler. Zu seinem Gedächtnis nebst Fragmenten aus seinen nachgelassenen Papieren, seinem Bildnis und seinem Faksimile“ 1841 in Dresden gedruckt.
Bei dem hier vorgestellten Objekt handelt es sich allerdings nicht um das Original, sondern um einen erweiterten Nachdruck von 1944 (Abb. 1). Er erschien in der Reihe „Dokumente zur Morphologie, Symbolik und Geschichte“, die von W. Keiper in Berlin herausgegeben und verlegt wurde. Die Broschüre ist 14 x 21 cm groß und umfasst insgesamt 63 Seiten. Der Zeitpunkt des Nachdrucks kann im Zusammenhang mit der Vereinnahmung Friedrichs durch die Nationalsozialisten gesehen werden, die Friedrich zum Prototyp des nordischen germanischen Künstlers hochstilisierten. Er war deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre in beiden Teilen Deutschlands verpönt. Heute gilt er als einer der bedeutenden, wenn nicht als der bedeutendste deutsche Maler der Romantik.
Die dem Nachdruck vorangestellte, nicht paginierte Titelei auf Kunstdruckpapier enthält die erwähnten Hinweise auf Herausgeber und Verlag sowie die Reihe, in der der Nachdruck erschien. Es folgen auf zwei gegenüberliegenden Seiten zum einen die Reproduktion eines Gemäldes von Carus, das das Grab Friedrichs kurze Zeit nach dessen Beerdigung auf dem Trinitatisfriedhof in Dresden zeigt. Auf der Nebenseite (Abb. 2) ist ein lithographisches Porträt des 44-jährigen Friedrich abgebildet, das sein Malerfreund Georg Friedrich Kersting (1785-1847) im Jahr 1818 geschaffen hat. Das darunter stehende Faksimile mit der Unterschrift C.D. Friedrich mit dem Wortlaut „Du sollst Gott mehr gehorchen denn den Menschen“ ist Bestandteil der Kunsttheorie des Malers. Die vierte Seite der Titelei enthält neben dem Hinweis „Printed in Germany“ u. a. Quellenangaben zu den erwähnten Abbildungen.
Dem Innentitel des Originals von 1841 schließen sich ein vierseitiges Vorwort von Carus, 10 Seiten mit den im Titel erwähnten Textfragmenten zur Kunst und zu Künstlern aus dem Nachlaß von Friedrich sowie ein acht Seiten langen Auszug aus den zweibändigen „Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten“ von Carl Gustav Carus an, die 1865 im Verlag F. A. Brockhaus in Leipzig erschienen sind. Die zweite Hälfte des Nachdrucks nehmen 34 s/w-Aufnahmen von bekannten und einigen weniger bekannten Gemälden Caspar David Friedrichs ein, unabhängig von den Originalen zumeist in der Größe 10,5 x 13 bis 10,5 x 16 cm. In dem ersten der zitierten Textfragmente fordert Friedrich: “Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.”
Matthias David
Quellen
1. Carus CG. Friedrich der Landschaftsmaler. Zu seinem Gedächtnis nebst Fragmenten aus seinen nachgelassenen Papieren, seinem Bildnis und seinem Faksimile. B. G. Teubner: Dresden 1841
2. Carus CG. Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Erstdruck in vier Teilen. F.A. Brockhaus: Leipzig 1865/66. http://www.zeno.org/pnd/118519352, http://www.zeno.org/nid/20007987978 (aufgerufen am 15.9.2024)
3. 4. Friedrich CD. Äußerung bei Betrachtung einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern, verschollenes Manuskript, um 1830 (zitiert in: https://artinwords.de/caspar-david-friedrich/ (aufgerufen am 27.10.2024)
4. ARD Mediathek https://www.ardmediathek.de/video/nordmagazin/wie-die-nazis-caspar-david-friedrich-vereinnahmten/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS81MTNhZmJlNy1jZThjLTQ2OWQtOWJkNi01YzE2Mjc2ZTZiZTA (verfügbar bis 05.05.2025, 19:30 Uhr)


Wider die „operativen Gelüste“ von Geburtshelfern: ein Appell aus dem Jahr 1895
Unverhofft stößt man in der „Zeitschrift für Sociale Medizin“ von 1895 auf das Referat zu einem Artikel des berühmten Gynäkologen Rudolf Dohrn (1836-1915) „Ueber Leistung von Kunsthilfe in der geburtshilflichen Praxis“ . Darin begrüßte der Berliner Gynäkopathologe Ludwig Pick (1868-1944) die angesichts zunehmender vaginal-operativer Entbindungen geäußerten Warnungen Dohrns vor einer unkritischen und womöglich gefälligen Anwendung der Forzeps. Der geburtshilflich tätige praktische Arzt könne leicht „ein Opfer seiner operativen Gelüste“ werden, schrieb Pick. Denn: „Ist nicht auch heute noch der – ach, wie so oft ohne Noth — operirende Geburtshelfer gegenüber dem bescheidener und überlegungsvoll mit Recht zuwartenden Collegen der eigentliche ‚Helfer‘?“
Mit Hinweis auf einschlägige Statistiken heißt es, die zunehmende Frequenz von Forzepsentbindungen sei vor allem bei wohlhabenden Erstgebärenden und in Städten zu beobachten. Die Frauen könnten dort vom Arzt schnell erreicht werden, und deren Ehemänner auf eine rasche Erlösung der Kreißenden vom Wehenschmerz hoffen. Es fehle aber bisher der Nachweis, dass durch das riskobehaftete „viele Operiren die Zahl der überhaupt lebenden Neugeborenen zugenommen“ habe. Abschließend zitiert Pick Dohrn mit einem Appell an die Ärzte, im Interesse der Gebärenden gegebenenfalls „auf die Ausübung einer Geschicklichkeit" zu verzichten, “die man durch mühsame Arbeit erworben” habe.
Die Diskussion operativer Entbindungsmodi hat bis dato nicht an Aktualität eingebüßt. Kritisierte damals Dohrn die Wahl einer Forzeps zur (vor)-eiligen Beendigung des Geburtsvorgangs, so ist es heute vor allem die Sektio mit zweifelhafter medizinischer Indikation, die hinterfragt werden sollte.
Dörthe Brüggmann

Literatur
Pick L: R. Dohrn, Ueber Leistung von Kunsthilfe in der geburtshilflichen Praxis [Referat]. Zeitschrift für sociale Medicin 1895, 1 (1) , 30-31. https://archive.org/details/zeitschriftfursocialemedicinorganzurvertretungu.forderungd.gesamtinteressend.arztl.standes1.189596/page/n37/mode/2up?view=theater
Vor 100 Jahren:
Die „Bremer Richtlinien“ brachten die Einführung der Bezeichnung „Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe“
Vor 100 Jahren tagte in Bremen der 43. Deutsche Ärztetag. Auf der Tagesordnung stand auch die Lösung der sog. Facharztfrage, eines schon lange schwelenden Konflikts zwischen Allgemeinpraktikern und „Spezialärzten“. Die Spezialisierung von Ärzten hatte sich, verbunden mit der wissenschaftlich-technischen Revolution, zunächst ungeregelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Am 21. Juni 1924 verabschiedete die Bremer Versammlung nach längerer, teils kontroverser Diskussion die „Leitsätze zur Facharztfrage“, die als “Richtlinien“ beschlossen wurden und bald nur noch als „Bremer Richtlinien“ bezeichnet wurden. Diese wurden im „Aerztlichen Vereinsblatt für Deutschland. Organ des Deutschen Aerztevereinsbundes (E.V.)“, dem späteren „Deutschen Ärzteblatt“, im August 1924 veröffentlich (Abb.). Die „Leitsätze“ umfassten knapp zwei Seiten und waren in vier Abschnitte gegliedert. Es wurden u.a. 14 Fachrichtungen benannt, für die die Bezeichnung „Facharzt“ zukünftig in Frage kam. Die Nr. 2 dieser nicht alphabetischen Reihung war nach der Chirurgie die Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Fachärzte sollten jede Art der üblichen hausärztliche Tätigkeiten den praktischen Ärzten überlassen. Das Führen des Titels „Prakt. Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ wurde untersagt.
Aus den „Bremer Richtlinien“ gingen in der Bundesrepublik Deutschland die Weiterbildungsordnungen hervor, in denen heute vor allem die ärztliche Ausbildung in Klinik und Niederlassung geregelt ist. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat auf der Basis der Beschlüsse der Deutschen Ärztetage die Musterweiterbildungsordnung im November 2018 verabschiedet und im Juni 2024 zuletzt aktualisiert.
Matthias David
Literatur
- Anonymus. Leitsätze zur Facharztfrage. Aerztliches Vereinsblatt für Deutschland 1924; 52, Nr. 1317, 11. August 1924, S. 261 – 264
- Hoppe JD. Die Weiterbildungsordnung. Von der Schilderordnung zum integralen Bestandteil der Bildung im Arztberuf. Dt Ärztebl 1997; 94: A-2483–2491
Ein besonderes Erinnerungsstück:
Die „Totenhand“ von Josef von Halban (1870-1937)
Während Totenmasken von der Antike bis in die Gegenwart als Objekte der Verehrung oder Erinnerung vielseitig beschrieben sind, ist über aus womöglich vergleichbarer Intention angefertigte Abdrücke von den Händen Verstorbener nur wenig bekannt. Von daher kann der abgebildete Bronzeabguss der rechten Hand des österreichischen Gynäkologen Josef von Halban als ein besonderes museales Objekt betrachtet werden.
Der über zwei Kilogramm schwere Bronzeabguss war ein Geschenk der Halban-Tochter Désirée von Halban-Saher (1912-1996) an den Medizinhistoriker Hans H. Simmer (1926-2006), der sich intensiv mit dem Werk Halbans beschäftigt hat. Das Objekt befindet sich jetzt im Besitz der Medizinischen Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg, ohne dass bisher Näheres über seine Entstehungsgeschichte bekannt ist.
Josef Halban gehörte zu den bedeutendsten Frauenärzten der Wiener Medizinischen Schule des 20. Jahrhunderts. Er hat Grundlegendes zur Endokrinologie der Fortpflanzung beigetragen: Jahrzehnte vor der chemischen Darstellung der Ovarialhormone postulierte er 1899 nach einschlägigen Experimenten eine innere Sekretion der Ovarien als Ursache von Menstruation und Uteruswachstum,1904 und 1905 legte er in zwei großen Arbeiten dar, dass auch der Plazenta die Fähigkeit zur inneren Sekretion zugesprochen werden müsse.
Neben seiner Tätigkeit als Grundlagenforscher war Halban als Schüler von Friedrich Schauta (1849-1919) ein erfolgreicher Kliniker und Operateur. Zusammen mit Ludwig Seitz (1872-1961) gab er in den 1920er Jahren ein neunbändiges Handbuch zur „Biologie und Pathologie des Weibes“ heraus. Nicht zuletzt durch seine Ehe mit der berühmten Opernsängerin Selma Kurz spielte der weltmännisch auftretende, künstlerisch ambitionierte „schöne Halban“ in der Wiener Gesellschaft eine wichtige Rolle.
Wolfgang Frobenius
Literatur:
Simmer, Hans H. Josef Halban (1870-1937). Pionier der Endokrinologie der Fortpflanzung. Wien Med Wochenschr 1971; 121: 549-552.
Halban, Dési (Hrsg): Selma Kurz. Die Sängerin und ihre Zeit. Belser: Stuttgart und Zürich 1983.

Vor 50 Jahren in der DDR gestiftet:
„Medaille für treue Dienste im Gesundheits- und Sozialwesen“
Am 16. Dezember 1960 beschloss das Politbüro des Zentralkomitees der SED, einen jährlichen Ehrentag für die Mitarbeiter im DDR-Gesundheitswesen einzuführen. Die Wahl dafür fiel auf den 11. Dezember - den Geburtstag von Robert Koch (1843-1910). An diesem "Tag des Gesundheitswesens" wurden bis zum Untergang der DDR 1989 Ehrentitel, staatliche Auszeichnungen, Orden und Medaillen an die Beschäftigten verliehen.
Zu den Auszeichnungen gehörte im Verlauf die nebenstehend abgebildete „Medaille für treue Dienste im Gesundheits- und Sozialwesen“, deren Stiftung der DDR-Ministerrat vor 50 Jahren bekannt gab. Nach der entsprechenden Verordnung vom 15. November 1973 sollten damit die ständige Einsatzbereitschaft und die Leistungen der Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens im Dienste der Gesundheit und des Lebens der Bürger gewürdigt werden. Die Ausgezeichneten konnten sich als „Träger der Medaille für treue Dienste im Gesundheits- und Sozialwesen“ bezeichnen. Zusätzlich erhielten sie eine Ehrenurkunde.
Die Medaille wurde in drei Stufen verliehen: In Bronze nach 10jähriger, in Silber nach 20jähriger und in Gold nach 30jähriger ununterbrochener Tätigkeit in staatlichen, privaten und konfessionellen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Dazu zählten neben Krankenhäusern, Apotheken oder Arzt- bzw. Zahnarztpraxen auch medizinische Handwerksbetriebe sowie Aus- und Weiterbildungsstätten.
Im DDR-Gesetzblatt wird die Medaille wie folgt beschrieben: „[Sie] ist rund, aus Bronze, Bronze versilbert bzw. Bonze vergoldet und hat einen Durchmesser von 30 mm. Auf der Vorderseite befindet sich ein Äskulapstab, umrahmt von zwei Lorbeerzweigen, und die Umschriftung ‚Für treue Dienst im Gesundheits- und Sozialwesen‘, auf der Rückseite das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik mit der Umschriftung ‚Deutsche Demokratische Republik‘.“
Der Unterschied der drei Stufen zeigt sich auch am sogenannten Ordensband: Bei der Auszeichnung in Gold ist mittig ein wenige Millimeter breiter goldener Streifen eingewebt. Bei der Silberstufe findet sich ein entsprechender Silberstreifen, während die Bronzestufe keinen Streifen aufweist. Die Medaille sollte auf der linken oberen Brustseite getragen werden.
Matthias David
Abbildungen
Fotos und Sammlung: M. David
Literatur
Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Jahrgang 1973 Nr. 53, Ausgabetag: 21. November 1973, S. 525-526.


Eine Ansichtskarte erinnert
„Das Jahr 1923 war in Deutschland von einer galoppierenden Inflation,
der Ruhrbesetzung, politischer Polarisierung sowie Umsturzplänen
von links und rechts gekennzeichnet.“ Volker Ulrich, 2023
Dennoch fand zu Pfingsten 1923 in Heidelberg unter Vorsitz des damaligen Präsidenten Carl Menge (1864-1945) der 18. Kongress der seinerzeitigen Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) statt, an den mit der nebenstehenden Ansichtskarte erinnert werden soll. Tagungsort war das 1903/04 zu einem Hörsaal- und Institutsgebäude der Universität ("Neues Kollegienhaus") ausgebaute ehemalige "Gesellschafts-Haus gebildeter Stände", das über einen der größten Säle der Stadt mit 800 Plätzen verfügte (Abb. 1). Bis zu seinem Abriss 1929 wurden dort viele Vorträge und Veranstaltungen abgehalten. Weichen musste es dem 1931 mit Spenden von US-Bürgern finanzierten Gebäude der Neuen Universität ("Schurman-Bau").
Zu der Tagung, die außerhalb des üblichen Zwei-Jahres-Rhythmus veranstaltet wurde, waren trotz der schwierigen Verhältnisse über 300 der damals rund 700 DGG-Mitglieder erschienen. Der ungewöhnlich kurzfristige Termin war im Jahr zuvor bei der Innsbrucker Tagung festgelegt worden, um einen zeitlichen Abstand zur Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte herzustellen. Begründet wurde dies damit, dass bei einer Koinzidenz beider Kongresse im selben Jahr "der Kongress der Gynäkologen-Gesellschaft fast sämtliches wissenschaftliches Material an sich reißt, so daß für die Gynäkologen-Sektion der Naturforscher-Tag[ung] zumeist nur ein sehr dürftiger Stoff übrig bleibt."
Matthias David, Wolfgang Frobenius
Literatur
1. Ullrich, Volker. 1923 als Schlüsseljahr für 1933? APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de. Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE (aufgerufen am 30.7.2023)
2. Hawikcks, Heike: Funktion und Nutzung der Alten Aula im Wandel der Zeit. In: Heike Hawicks/Ingo Runde. Die Alte Aula der Universität Heidelberg. https://heiup.uni-heidelberg.de/reader/index/122/122-69-76627-2-10-20170125.xml DOI: 10.17885/heiup.122.149


Unkonventionell,
informativ und amüsant
Unkonventionell konzipiert, in weiten Teilen mit sehr privaten Einsichten angereichert und nicht zuletzt deshalb sowohl historisch interessant als auch amüsant zu lesen: So präsentiert sich die Autobiografie von Wilhelm Alexander Freund (1833-1917). Das abgebildete Exemplar hat der Pionier der operativen gynäkologischen Onkologie und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) nur wenige Monate vor seinem Tod einem „lieben Collegen“ gewidmet, über dessen Person bisher leider nichts Genaueres in Erfahrung gebracht werden konnte. Freund war der erste Jude, der in Deutschland auf einen gynäkologischen Lehrstuhl berufen wurde.
Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten wie etwa zur ersten „standardisierbaren“ abdominalen Hysterektomie reflektiert Freund in seinen Erinnerungen den „psychologischen Vorgang beim wissenschaftlichen Schaffen“, fragt nach dem „Quell der Befähigung“ und bespricht "fördernde" sowie "hemmende" Einflüsse. Dabei betont er die Bedeutung einer guten naturwissenschaftlichen Vorbildung. Das Humanistische Gymnasium kommt dabei nicht gut weg. Speziell von der eigenen Schule sei er „mit wahrem Groll im Herzen“ geschieden, schrieb er („mehrere altersschwache grämliche Lehrer; Bevorzugung der Söhne höherer Stände“). Sich selbst sah er bei seiner Emeritierung in Straßburg 1901 als "heiteren, mir seinem Lose zufriedenen, glücklichen Mann".
Freund geht in seiner Biografie auch auf die Diskriminierungen ein, der sich die Juden schon im auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ausgesetzt sahen und die auch die eigene Karriere immer wieder behinderten. Ratschlägen, zu konvertieren, folgte er nicht. In der standesamtlichen Todesanzeige vom 24.12.1917 heißt es zur Religionszugehörigkeit: "dissident". Dass sein Sohn Richard Heinrich (geb. 1872), wie er selbst Professor der Gynäkologie, trotz seiner Konversion zur evangelischen Kirche am 21. September 1942 in Berlin von den Nazis in den Selbstmord getrieben wurde, musste er nicht mehr erleben.
Wolfgang Frobenius
Literatur
Ebert, Andreas D. Biografischer Exkurs: Wilhelm Alexander Freund. In: Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870-1924). Eine quantitative Untersuchung mit biografischen Skizzen. Mabuse: Frankfurt a. Main 2008, 107-118.
Dross, Fritz/Frobenius, Wolfgang/Thum, Andreas. "Wir können ihr Geschick nicht wenden". Die jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Leipzig 2020, 82-83.

Vor 100 Jahren
Das Jahr 1923 war ein besonderes Krisenjahr in der deutschen Geschichte mit verheerenden Auswirkungen für das ganze weitere Jahrhundert. Die Krisenspirale begann sich im Januar zu drehen, nachdem französische und belgische Truppen zur Durchsetzung der im Versailler Vertrag vereinbarten Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzt hatten. Der kurz darauf von der Reichsregierung ausgerufene passive Widerstand der Bevölkerung im "industriellen Herz" Deutschlands sowie dessen im Februar folgende zoll- und wirtschaftspolitische Abtrennung vom Deutschen Reich gaben den letzten Anstoß für eine dramatische Talfahrt der Wirtschaft. Aus der herrschenden Inflation wurde die Hyperinflation; im Oktober 1923 lag der Dollarkurs bei 4,2 Billiarden Mark. Geld büßte damit seine Funktion als Zahlungsmittel nahezu ein (Abb. 1).
Verzweiflung und Verbitterung der notleidenden Bevölkerung waren groß. Die politische und wirtschaftliche Krise im Reich ging mit einer Gesundheitskrise einher. 50% aller Kinder waren im Februar 1923 unterernährt. Die schlechte Ernährungs- und Gesamtlebenslage wirkte sich sehr negativ auf die Kindersterblichkeit aus. Im besetzten Ruhrgebiet war die Situation besonders schlimm, aber auch die Lageeinschätzung des damaligen Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes Franz Bumm für das ganze Reich, vorgetragen auf einer Reichstagssitzung am 20. 2. 1923, zeigte sich pessimistisch (siehe Abb. 2).
Diese verheerenden Folgen des Ersten Weltkriegs ließen die seinerzeitige Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) lange zweifeln, ob ihr für Mitte Mai 1923 geplanter Kongress in Heidelberg realisierbar sein würde. Als er schließlich eröffnet werden konnte, nutzte der damalige Präsident Carl Menge seine Eröffnungsansprache zu einem scharfen Protest gegen die Ausweisung von Ärzten aus dem besetzten Gebiet. "Auch Mitglieder unserer Gesellschaft sind [...] Opfer geworden. Man hat sie aus fadenscheinigen Gründen ihrer Existenzmöglichkeit, vor allem aber einen Teil der friedlichen Bevölkerung ihrer vertrauten Berater in gesundheitlicher Not beraubt", erklärte er.
Matthias David
Literatur
Menge C. Eröffnungsansprache. Arch Gynäk 1923; 120: S. XXXIV. "Volksbildung und Verelendung". Vorwärts, 21.2.1923, Morgenausgabe B, S. 4


Gräfenberg-Ring
Übliches T-förmiges IUD und Gräfenberg-Ring im Größenvergleich. Der intrauterin gelegene Ring war ein Zufalls(be)fund bei einer hochaltrigen Patientin.
Ernst Gräfenberg (1881 – 1957) hatte solche, später nach ihm benannten Ringe zur Schwangerschaftsverhütung in den 1920er Jahren während seiner Zeit als niedergelassener Gynäkologe in Berlin entwickelt. Die meisten Gräfenberg-Ringe bestanden aus sog. technischem Silber, das einen relativ hohen Kupferanteil aufwies, sodass Ernst Gräfenberg unbewusst auch der Erfinder der ersten Kupferspirale war.
Matthias David
Literatur
Baldauf, R. Tönnes, S. Simon, M. David: A Report on the Hysteroscopic Removal of a Gräfenberg Ring After Almost Fifty Years in Utero. In: Geburtshilfe und Frauenheilkunde 74 (2014) 1023–1025. doi: 10.1055/s-0034-1383130

Röntgen-Hände
Testhand nach Dr. Schilling (Anfang 20. Jahrhundert) aus der Erlanger Frauenklinik, re. im Original, li. in der Durchleuchtung mit einem modernen Somatotom. In der Pionierzeit der gynäkologischen Radiologie benutzte das Personal in Unkenntnis der Gefahren die eigenen Hände, um vor einer Therapie mit Röntgenstrahlen die damals sehr schwankende Qualität der Strahlung („Härte“) im Bild zu überprüfen und ggf. zu korrigieren. Viele erlitten schwere Gesundheitsschäden, manche starben nach jahrelangem Siechtum an metastasierten Röntgenkarzinomen.
Theodor Rudolf Schilling (1875-1921), in Erlangen promovierter Arzt aus Nürnberg, hatte 1905 die Idee, eine Skeletthand in einen mit Wachs ausgegossenen Lederhandschuh zu stecken und auf einen mit einem Bleimantel armierten Griff zu montieren, um die Hände des Personals zu schützen. Wenig später bot die Industrie die „Testhand nach Dr. Schilling“ als „Instrument zur Bestimmung der [Röntgen] Röhrenhärte“ an. Das gezeigte Exemplar ist in die Medizinische Sammlung der Universität übergegangen und von dort als Dauerleihgabe an das Erlanger Siemens Healthineers MedMuseum, wo Sie es in der Ausstellung besichtigen können.
Wolfgang Frobenius/Fritz Dross
Literatur
Dross F, Frobenius W: Röntgenhände. In: Leven KH, Plöger A (Hg.): 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen. 1815-2015. Böhlau, Köln u. a. 2016, S. 201-204.

Babys aus dem Eis
Mit diesem ausgeklügelten System, bestehend aus leicht beschaffbaren Komponenten, führten WissenschaftlerInnen der Erlanger Frauenklinik Ende der 1970er Jahre Tierversuche zur Kryokonservierung von Embryonen durch. Benutzt wurde ein Styroporbehälter mit flüssigem Stickstoff, ein von einem Scheibenwischermotor angetriebener Wagenheber sowie ein Temperaturaufzeichnungsgerät (links) auf der Basis eines modifizierten Kardiotokografen (CTG). Der von einem Scheibenwischermotor angetriebene Wagenheber hob den Stickstoffbehälter langsam an. Dadurch tauchten die Gefäße mit den Embryonen in die Dampfphase des Stickstoffs ein und wurden in dessen Temperaturkontinuum bis zum Spiegel der Flüssigkeit von Raumtemperatur auf minus 196 Grad gekühlt. Diese Versuche mündeten schließlich 1986 in die erste Geburt eines „Kryobabys“ im deutschsprachigen Raum.
Wolfgang Frobenius/Fritz Dross
Literatur
Trotnow S, Hünlich T, Kniewald T: Successful cryopreservaration and transplantation of mouse embryos. Arch Androl Suppl 1980: A146
Siebzehrübl E, Trotnow S, Weigel M, Kniewald T, Habermann PG, Kreuzer E, Hünlich T. Pregnancy after in vitro fertilization, cryopreservation, and embryo transfer. J In Vitro Fert Embryo Transf. 1986 Aug;3(4):261-3. doi: 10.1007/BF01132817. PMID: 3093616.
Ruisinger, MM: In-vitro-fertilisation. In: Leven K-H et.al. (Hg.): 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815-2015. Köln 2016: 406

Glückwünsche
der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie (DGG) für Virchow
2021 jährte sich Rudolf Virchows (1821-1902) Geburtstag zum 200. Male. Dies war uns Anlass genug, darauf hinzuweisen, dass Virchow auch für die Begründung und den Ausbau der sog. Gynäkopathologie eine entscheidende Rolle spielte. Die abgebildete Glückwunschadresse legt davon Zeugnis ab.
Der junge Virchow wurde in seinen ersten Berliner Jahren von der Mitgliedschaft in der "Berliner Gesellschaft für Geburtshülfe" geprägt, deren Gründer Carl Wilhelm Mayer (1795-1868) sein Schwiegervater wurde. Er befruchtete seinerseits mit seinen Vorträgen aber auch das Leben dieser wissenschaftlichen Gesellschaft. Seine berühmten Vorlesungen über „Cellularpathologie“, 1858 veröffentlicht, führten zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin und begründeten Virchows Weltruhm.
Daher heißt es nicht zu Unrecht in der von Max Hofmeier (1854-1927), dem damaligen Vorsitzenden der seinerzeitigen DGG, unterzeichneten, eindrucksvoll mit Jugendstilornamenten verzierten Glückwunschadresse zum 80. Geburtstag Virchows: „Seit dem Beginn Ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit haben Sie direkt und indirekt, wie fast allen Zweigen der naturwissenschaftlicher Erkenntnis, auch unserer speziellen Wissenschaft so weitgehende Förderung geschaffen und so reiche Anregungen gegeben, dass auch in ihren Annalen der Name „Virchow“ für alle Zeiten mit unvergänglichen Lettern eingezeichnet ist…“.

Hofmeier war von 1900 bis 1923 Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Würzburg. Dies erklärt, dass das Schriftstück von der „Königl. Univers. Druckerei von M. Stürtz in Würzburg“ angefertigt wurde, wie man in sehr kleine Buchstaben am unteren Rand des Dokumentes lesen kann. Insgesamt ist das Dokument inhaltlich und von der Aufmachung her ein eindrucksvolles Dokument dafür, dass die große interdisziplinäre Bedeutung Virchows schon zu seinen Lebzeiten anerkannt wurde. Matthias David
(Aufbewahrungsort: Archiv der Humboldt-Universität – Signatur HU UA, Nachlass (NL) Virchow, Nr. 058)
Ehrenplakette
der Japaner für Helmut Kraatz
Durch eine Schenkung - die näheren Umstände sind unklar - gelangte dieses Objekt aus dem Nachlass des DGGG-Ehrenmitglieds Prof. Dr. Helmut Kraatz (1902-1983) in die Sammlung der Jenaer Universitäts-Frauenklinik. Die wahrscheinlich aus Bronze bestehende Ehrenplakette hat einen Durchmesser von 10,5 cm und ein Gewicht von 648 g. Das gegossene Relief mit dem Motiv einer stillenden Mutter befindet sich auf einer 8 mm hohen Platte. Das Hauptmotiv wird kreisförmig vom ebenfalls erhabenen Schriftzug "The Japanese Obstetrical & Gynecological Society" umrahmt. Auf der Rückseite der Plakette befindet sich eine Gravur: "Presented to Prof. Dr. H. Kraatz in Appreciation for the Special Speek made before the 9th Annual Meeting, Sapporo, June 26-28. 1957".
Helmut Kraatz, Schüler, leitender Oberarzt und schließlich Nachfolger von Walter Stoeckel (1871-1961), leitete von 1951 bis 1970 die (Ost-)Berliner Universitäts-Frauenklinik in der Tucholskystraße und galt seinerzeit als einer der wichtigsten und einflussreichsten Gynäkologen der DDR. Neben zahlreichen Fachpublikationen und einem Band mit Reden hat Kraatz, wie sein Vorbild Stoeckel, eine Autobiographie hinterlassen. Sie trägt den Titel "Zwischen Klinik und Hörsaal. Ein Frauenarzt sieht sich in seiner Zeit" (1. Auflage 1977).

In dem Buch findet sich unter "Biographische Daten" mit indirektem Bezug zu dem Vortrag in Sapporo der Vermerk "1957 - Vortragsreisen in die UdSSR und nach Ostasien (Türkei, Indien, Thailand, Japan)". Im Kapitel "Neubeginn und Wandel" wird ein Tee-Empfang durch einen Shinto-Priester im japanischen Nara beschrieben. Dies dürfte für den Leser in der damaligen DDR sehr exotisch gewirkt haben. Es zeigte gleichzeitig das besondere Privileg, das Kraatz genoss - die Freiheit, in Länder außerhalb des Warschauer Paktes reisen zu dürfen.
Matthias David/Ekkehard Schleußner
Ein Klassiker
Lehrbuch von Carl Gustav Carus
1820 erschien bei Gerhard Fleischer in Leipzig Carus‘ zweibändiges „Lehrbuch der Gynäkologie, oder systematische Darstellung der Lehren von Erkenntniß und Behandlung eigenthümlicher gesunder und krankhafter Zustände, sowohl der nicht schwangern, schwangern und gebärenden Frauen, als der Wöchnerinnen und neugebornen Kinder. Zur Grundlage akademischer Vorlesungen, und zum Gebrauche für praktische Aerzte, Wundärzte und Geburtshelfer“. Das Buch – wohl die erste umfassende Darstellung unseres Fachgebietes in deutscher Sprache – war Carus‘ großer Wurf auf dem Gebiet der Medizin, erlebte drei weitere Auflagen (im Bild die 2. Aufl. 1828), wurde mehrfach nachgedruckt und machte seinen Autor weithin bekannt. Es hatte über 100 Jahre Bestand und wurde noch in den 1950er Jahren im „Seitz-Amreich“ zitiert.
Carl Gustav Carus (geboren 1789 in Leipzig, gestorben 1869 in Dresden) war eine zentrale Figur des geistigen und kulturellen Lebens im „Deutschen Florenz“ (Herder) in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Suchte man nach einer passenden Zuschreibung für ihn wäre es wohl „Tausendsassa“: Studium der Naturwissenschaften und Medizin, mit 25 Professor an der eben gegründeten Medizinisch-Chirurgischen Akademie in Dresden, später Leibarzt – und Freund – des sächsischen Kronprinzen und späteren Königs Johann, Landschaftsmaler, Schriftsteller, Illustrator seiner naturwissenschaftlichen Publikationen. Seine malerische und zeichnerische Begabung wird mit der seines Freundes Caspar David Friedrich verglichen – die Bilder hängen in vielen Museen, und seine naturphilosophischen Ansichten mit denen Goethes. Carus war vielleicht der wichtigste Goetheanist – und das Genie aus Weimar neben C. D. Friedrich und Alexander v. Humboldt wohl die zentrale Begegnung seines Lebens.
Uwe Andreas Ulrich
Abb.: Lehrbuch der Gynäkologie – hier Band I der 2. Aufl. von 1828 – von Carl Gustav Carus.

Gravidarium für Laien
aus den 1930er Jahren
Da die Berechnung des voraussichtlichen Geburtstermins mit Hilfe der von Naegele 1812 angegebenen „Formel“ relativ umständlich ist, wurden schon im Verlauf des 19. Jahrhunderts neben entsprechenden Tabellen in geburtshilflichen Lehrbüchern auch handliche Rundscheiben, sog. Gravidarien, aus Papier oder Pappe entwickelt. Diese bestanden aus mindestens zwei beweglichen Scheiben, auf denen Tage, Wochen und Monate eines Kalenderjahres aufgedruckt waren. Oft waren auf den Scheiben auch wichtige Informationen für den Verlauf der Schwangerschaft oder mögliche ärztliche Maßnahmen zu finden. Dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts solche kreisförmigen Schwangerschaftskalender auch Bestandteil von Hebammenlehrbüchern waren, trug sicher zur weiteren Verbreitung der „Rechenscheiben“ auch in Laienkreisen bei.
Das hier präsentierte Gravidarium ist eine der Beilagen zu dem Kompendium „Wissen und Können. Hochschule des praktischen Lebens“ (1933), das in umfassender Form medizinisches und pädagogisches Wissen für Laien präsentiert.
Das Gravidarium (Durchmesser 18,5 cm) besteht auf der Vorderseite (Abb. oben) zwei konzentrischen weißen Pappscheiben, die in schwarzer und dunkelblauer Schrift bedruckt sind. Die äußere Scheibe zeigt die 12 Sternzeichen sowie die Monate und Tage eines Jahres an, die kleinere den Beginn der Periodenblutung, die empfängnisfreie und die Empfängniszeit. Eine dritte Ebene bilden drei Zeiger: Einer zum Einstellen der letzten Regel, ein zweiter im Winkel von 130° zum ersten zur Bestimmung des Zeitpunkts erster Kindsbewegungen und ein dritter, in einem Winkel von 140° zum zweiten, für den voraussichtlichen Tag der Geburt ergänzt durch einen Teilhalbkreis, der die „mögliche Geburtszeit“ (+/- 50 Tage um den errechneten Termin) anzeigt. Auf der Rückseite der Scheibe (Abb. unten) wird die Handhabung des Gravidariums in wenigen Sätzen erklärt.
Matthias David
Literatur
David M, Ebert AD Schwangerschaftsdosen, Kalendertische, Geburts-Tafeln und Volvellen – Anmerkungen zur Geschichte des Gravidariums. Geburtsh Frauenheilk 2022; 82: 265-268.
Wirtschaftliche Vereinigung für neuzeitliche Lebenskunde und rationelle Haushaltführung. Wissen und Können. Hochschule des praktischen Lebens. Hutter, Wien 1933 (Beilage)
Quellenangabe
Das hier präsentierte Objekt stammt aus der Sammlung von M. David (Fotos: M. David).


Ein Praxisschild und seine Geschichte
Der stetige Rückgang der Hausgeburtshilfe zugunsten von Klinikentbindungen ließ in den 1970er Jahren Praxisschilder mit dem Hinweis „praktischer Arzt und Geburtshelfer“ aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Zunehmend verblasst damit die Erinnerung an die bedeutende Rolle, die „Praktiker“ im Zusammenhang mit der Professionalisierung der Geburtshilfe in Deutschland gespielt haben, seitdem 1737/38 in Straßburg erstmals Medizinstudenten entsprechend ausgebildet worden waren und 1852 in Preußen mit dem „praktischen Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ der staatlich geprüfte ärztliche Einheitsstand geschaffen wurde.
Viele der praktischen Ärzte waren Juden im Sinne der verbrecherischen nationalsozialistischen Rassenpolitik und wurden infolgedessen im „Dritten Reich“ verfolgt, entrechtet, ausgeplündert, zur Emigration gezwungen oder ermordet. Einer der wenigen, die durch glückliche Umstände den NS-Terror in ihrem Heimatland überlebten, war der Würzburger Dr. med. Hans Ikenberg (1900-1975). Gerettet haben ihn wohl vor allem seine Ehe mit der stets loyalen „Arierin“ Walburga (Wally) Krämer und der Umstand, dass seine Tätigkeit als „Krankenbehandler“ für Juden nach Entzug der Approbation 1938 lange unverzichtbar erschien. In den letzten Kriegsmonaten, als auch die zunächst nicht deportierten Würzburger Juden in das KZ Theresienstadt verschleppt wurden, entkam er dem gleichen Schicksal vermutlich nur durch die Vernichtung polizeilicher Unterlagen bei den alliierten Bombenangriffen auf Nürnberg und Würzburg.
Unmittelbar nach Kriegsende nahm Ikenberg als einer der ersten Ärzte in Würzburg seine Praxistätigkeit in einer Mietwohnung wieder auf. Sein Haus war zerstört, seine Gesundheit durch eine vorübergehende KZ-Haft in Buchenwald 1938 und das folgende permanente Menetekel erneuter Verhaftung und physischer Vernichtung angegriffen. Dennoch blieb er, wie die lokale Presse anlässlich runder Geburtstage rühmte, als „hochgeschätzte[r] Arzt und Mensch“ bis an sein Lebensende tätig – nicht ganz freiwillig, wie sein Enkel erinnert: „[…] da er, von den Nazis aus der Ärzteversorgung ausgeschlossen, sich weigerte, hier hohe Nachzahlungen zu leisten […].“
Wolfgang Frobenius
Literatur:
Damskis, Linda Lucia. Zerrissene Biografien. Jüdische Ärzte zwischen nationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und Wiedergutmachung. München 2009, S. 122-135.

Wissensaustausch im Kalten Krieg
Auch wenn Reisen und Kommunikation über den eisernen Vorhang hinweg mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden waren, fand ein reger Austausch zwischen Forschern/-innen auf beiden Seiten statt. Für die Frauenheilkunde bildeten dabei "The Baltic Conferences on Obstetrics and Gynecology", die von 1986 bis 2001 acht Mal in Ostseestaaten stattfanden, ein zentrales Forum. Stig Kullander (Malmö) und Kurt Semm (Kiel) initiierten 1986 die erste dieser Konferenzen an der Wilhelm-Pieck-Universität in Rostock. Wie auch die Veranstaltungen der folgenden Jahre wurde dieses Treffen maßgeblich von westlichen Pharmafirmen finanziert. Die Konferenzen waren durchaus erfolgreich darin, ein grenzüberschreitendes Forschungsnetzwerk in Nord- und Osteuropa aufzubauen. Dies zeigt sich an deutlich wachsenden Teilnehmerzahlen im Laufe der Jahre. Bereits 1989 umfasste das Programm der damals in Gdansk stattfindenden Konferenz über 60 Vorträge von mehr als 200 Wissenschaftlern/-innen aus verschiedenen Ostseestaaten.
Teilnehmer dieser Konferenzen berichten von einem lebhaften Austausch auch über den Rahmen der Treffen hinaus. Es entstanden gemeinsame Publikationen, und auch zum Austausch von Material und Gerätschaften wurden die Konferenzen genutzt. So übergab die schwedische Delegation 1989 ein Ultraschallgerät an polnischen Kollegen. Auch wenn die "Baltic Conferences" erfolgreich darin waren, ein nordosteuropäisches Netzwerk unter Gynäkologen/-innen aufzubauen, sahen sich die Teilnehmer/-innen durchaus mit Schwierigkeiten konfrontiert: Insbesondere Wissenschaftler/-innen aus dem Ostblock kämpften mit bürokratischen Hürden. Nicht immer wurden Reisen genehmigt. Mit der Liberalisierung des Reiseverkehrs in den 1990er Jahren gewannen internationale Konferenzen an Attraktivität.
Nach 2001 wurde das Format der „Baltic Conferences on Obstetrics and Gynecology“ nicht fortgeführt. Für die Zeit ihres Bestehens ist jedoch fraglos, dass diese Zusammenkünfte eine wichtige Plattform für den Austausch zwischen Ost und West sowie ein Motor der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit waren.
Nils Hansson
Literatur
Hansson, N. (2022), Opportunities and challenges for scientific exchange in the Baltic Sea region: Lessons from the Baltic conferences on obstetrics and gynecology (1987–2001). Acta Obstet Gynecol Scand, 101: 844-845. https://doi.org/10.1111/aogs.14383 (open access).

Unkonventionell,
informativ und amüsant
Unkonventionell konzipiert, in weiten Teilen mit sehr privaten Einsichten angereichert und nicht zuletzt deshalb sowohl historisch interessant als auch amüsant zu lesen: So präsentiert sich die Autobiografie von Wilhelm Alexander Freund (1833-1917). Das abgebildete Exemplar hat der Pionier der operativen gynäkologischen Onkologie und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) nur wenige Monate vor seinem Tod einem „lieben Collegen“ gewidmet, über dessen Person bisher leider nichts Genaueres in Erfahrung gebracht werden konnte. Freund war der erste Jude, der in Deutschland auf einen gynäkologischen Lehrstuhl berufen wurde.
Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten wie etwa zur ersten „standardisierbaren“ abdominalen Hysterektomie reflektiert Freund in seinen Erinnerungen den „psychologischen Vorgang beim wissenschaftlichen Schaffen“, fragt nach dem „Quell der Befähigung“ und bespricht "fördernde" sowie "hemmende" Einflüsse. Dabei betont er die Bedeutung einer guten naturwissenschaftlichen Vorbildung. Das Humanistische Gymnasium kommt dabei nicht gut weg. Speziell von der eigenen Schule sei er „mit wahrem Groll im Herzen“ geschieden, schrieb er („mehrere altersschwache grämliche Lehrer; Bevorzugung der Söhne höherer Stände“). Sich selbst sah er bei seiner Emeritierung in Straßburg 1901 als "heiteren, mir seinem Lose zufriedenen, glücklichen Mann".
Freund geht in seiner Biografie auch auf die Diskriminierungen ein, der sich die Juden schon im auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ausgesetzt sahen und die auch die eigene Karriere immer wieder behinderten. Ratschlägen, zu konvertieren, folgte er nicht. In der standesamtlichen Todesanzeige vom 24.12.1917 heißt es zur Religionszugehörigkeit: "dissident". Dass sein Sohn Richard Heinrich (geb. 1872), wie er selbst Professor der Gynäkologie, trotz seiner Konversion zur evangelischen Kirche am 21. September 1942 in Berlin von den Nazis in den Selbstmord getrieben wurde, musste er nicht mehr erleben.
Wolfgang Frobenius
Literatur
Ebert, Andreas D. Biografischer Exkurs: Wilhelm Alexander Freund. In: Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870-1924). Eine quantitative Untersuchung mit biografischen Skizzen. Mabuse: Frankfurt a. Main 2008, 107-118.
Dross, Fritz/Frobenius, Wolfgang/Thum, Andreas. "Wir können ihr Geschick nicht wenden". Die jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Leipzig 2020, 82-83.

Gynäkologie & Philatelie:
Briefmarken als Zeitzeugen
Vom 9. bis 12. Oktober 2023 findet in Paris der 24. World Congress of Gynecology and Obstetrics statt. Ausrichter ist die 1954 gegründete Internationale Vereinigung für Gynäkologie und Geburtskunde, kurz FIGO. Die Abkürzung steht für Fédération Internationale de Gynécologie et d'Obstétrique.
Das Objekt des Monats ist ein Ersttagsbrief mit Briefmarke, die von der Deutschen Bundespost Berlin 1985 anlässlich des 11. Weltkongresses für Gynäkologie und Geburtshilfe herausgegeben wurde, der in jenem Jahr in West-Berlin stattfand. Das Briefmarkenmotiv ist das offizielle Emblem der FIGO: eine von grünen Blättern umkränzte weibliche Silhouette. Gastgeber war die DGGG, die 1985 ihr 100-jähriges Bestehen feiern konnte. Neben der Bundesrepublik und der DDR gab die West-Berliner Landespostdirektion seit den 1950er Jahren bis zur Wiedervereinigung eigene Postwertzeichen heraus. Auch andere Ausrichterländer des Weltkongresses für Gynäkologie und Geburtshilfe, der in der Regel alle drei Jahre stattfindet, haben Briefmarken zu diesem Anlass in Umlauf gebracht: Australien (1967), Japan (1979) und Malaysia (2006).
Benjamin Kuntz
Literatur
Chandrasekhar, Vijayalakshmi: Philatelic Releases Commemorating Obstetrics and Gynecology Conferences. J Obstet Gynaecol India 2021 Aug;71(4):459-463;
Gursu, Turkan / Eraslan, Alper: Obstetrics and Gynecology on Postage Stamps: A Philatelic Study. Authorea. DOI: 10.22541/au.158379544.45286634
Webseite des 24. World Congress of Gynecology and Obstetrics: https://figo2023.org/

Ersttagsbrief mit Briefmarke, die 1985 in West-Berlin anlässlich des 11. Weltkongresses für Gynäkologie und Geburtshilfe herausgegeben wurde
Foto und Sammlung von B. Kuntz