Die Historische Kommission der DGGG
Die Historische Kommission in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) fördert die sachkundige und kritische Beschäftigung mit allen Aspekten der Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Im Mittelpunkt steht die Geschichte der 1885 gegründeten Fachgesellschaft und der in ihr handelnden Mitglieder. Wir regen einschlägige Forschungen an, unterstützen sie und führen sie selbst durch. Gerne stehen wir Ihnen in diesem Zusammenhang auch als Ansprechpartner zur Verfügung.

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht in den Griff bekommen.“
Golo Mann
Das historische Objekt im Fokus
Vor 100 Jahren
Das Jahr 1923 war ein besonderes Krisenjahr in der deutschen Geschichte mit verheerenden Auswirkungen für das ganze weitere Jahrhundert. Die Krisenspirale begann sich im Januar zu drehen, nachdem französische und belgische Truppen zur Durchsetzung der im Versailler Vertrag vereinbarten Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzt hatten. Der kurz darauf von der Reichsregierung ausgerufene passive Widerstand der Bevölkerung im "industriellen Herz" Deutschlands sowie dessen im Februar folgende zoll- und wirtschaftspolitische Abtrennung vom Deutschen Reich gaben den letzten Anstoß für eine dramatische Talfahrt der Wirtschaft. Aus der herrschenden Inflation wurde die Hyperinflation; im Oktober 1923 lag der Dollarkurs bei 4,2 Billiarden Mark. Geld büßte damit seine Funktion als Zahlungsmittel nahezu ein (Abb. 1).
Verzweiflung und Verbitterung der notleidenden Bevölkerung waren groß. Die politische und wirtschaftliche Krise im Reich ging mit einer Gesundheitskrise einher. 50% aller Kinder waren im Februar 1923 unterernährt. Die schlechte Ernährungs- und Gesamtlebenslage wirkte sich sehr negativ auf die Kindersterblichkeit aus. Im besetzten Ruhrgebiet war die Situation besonders schlimm, aber auch die Lageeinschätzung des damaligen Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes Franz Bumm für das ganze Reich, vorgetragen auf einer Reichstagssitzung am 20. 2. 1923, zeigte sich pessimistisch (siehe Abb. 2).
Diese verheerenden Folgen des Ersten Weltkriegs ließen die seinerzeitige Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) lange zweifeln, ob ihr für Mitte Mai 1923 geplanter Kongress in Heidelberg realisierbar sein würde. Als er schließlich eröffnet werden konnte, nutzte der damalige Präsident Carl Menge seine Eröffnungsansprache zu einem scharfen Protest gegen die Ausweisung von Ärzten aus dem besetzten Gebiet. "Auch Mitglieder unserer Gesellschaft sind [...] Opfer geworden. Man hat sie aus fadenscheinigen Gründen ihrer Existenzmöglichkeit, vor allem aber einen Teil der friedlichen Bevölkerung ihrer vertrauten Berater in gesundheitlicher Not beraubt", erklärte er.
Literatur
Menge C. Eröffnungsansprache. Arch Gynäk 1923; 120: S. XXXIV. "Volksbildung und Verelendung". Vorwärts, 21.2.1923, Morgenausgabe B, S. 4

Abb. 1: Reichsbanknote vom 15. Oktober 1923 (Sammlung M. David, Foto M. David)

Abb. 2: Zeitungsauschnitt aus dem „Vorwärts“. Der damalige Präsident des Reichsgesundheitsamtes in Berlin, Franz Bumm, war der jüngere Bruder von Ernst Bumm, Ordinarius für Frauenheilkunde in Berlin von 1904-1924 sowie Präsident der seinerzeitigen Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie von 1913-1920.